Der unsichtbare Krieg

Der Hamburger Schneidermeister und Modeschöpfer, Marco Glowatzki fuhr von Dezember 2016 bis Januar 2017 für 14 Tage allein in das kriegsgeplagte Land Syrien. Was er dort hörte und erlebte, steht im „krassen“ Widerspruch zu den Syrien- Darstellungen in hiesigen Leitmedien. Katrin McClean sprach mit ihm über seine Eindrücke

Von Published On: 18. Oktober 2018Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 28.04.2017 auf RUBICON unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/der-leise-tod> veröffentlicht. Lizenz:  Katrin McClean, Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

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KM: Marco, Du bist ein erfolgreicher und viel gefragter Haute Couture Schneider in Hamburg. Klingt eigentlich nach jemandem, der schon genug um die Ohren hat. Wie kam es zu deiner Reise in das Krisengebiet Syrien?

 

Zunächst einmal: Ich bin in der DDR aufgewachsen, vom Jungpionier über Thälmannpionier bis zum FDJler und hatte einen Vater, der politisch sehr aktiv und interessiert war. In Mecklenburg, nicht weit entfernt von der innerdeutschen Grenze, konnten wir „Westfernsehen“ schauen. Wir sahen also nacheinander Aktuelle Kamera und Tagesschau. Häufig wurde über ein und denselben Tatbestand völlig konträr berichtet. Mein Vater hielt mich dabei immer dazu an: höre dir beide Seiten an und bilde dir dann deine eigene Meinung und wenn du noch mehr wissen willst, lese Sachbücher oder fahr, wenn du kannst, selbst hin und mache dir dein eigenes Bild. Was zu DDR – Zeiten natürlich kaum möglich war.

 

Nach der „Wende“ reiste ich vorwiegend in orientalische Länder – wie Marokko (7x), Tunesien, Ägypten, Türkei, Iran und jetzt Libanon und Syrien – die mich immer schon kulturell und kunsthistorisch sehr interessiert haben. Region und Kultur sind mir also schon länger vertraut.

 

Während meiner Ausbildung, u.a. an der Fachhochschule in Hamburg lernte ich viele andere „Azubis“ unterschiedlichster Nationalitäten kennen – in meiner Klasse, waren wir zwei deutsche – u.a. Türken, Marokkaner und Syrer. Mit vielen blieb ich bis heute in Kontakt. Als ab 2011 Berichte über einen angeblichen Volksaufstand, ergo Bürgerkrieg in Syrien aufkamen, behaupteten meine syrischen Freunde, das wäre blanker Unsinn.

 

Darüber verunsichert besuchte ich verschiedenste Internetforen zum Thema Syrien. Dort beteiligten sich auch viele Syrer, die in ihrer Heimat leben und von dort aus Behauptungen und Nachrichten korrigieren bzw. relativieren. Sie wiesen mich, mehr als glaubwürdig, auf zahlreiche Lügen in hiesigen Medien hin und konnten diese mit handfesten Beweisen untermauern. In einem dieser Foren lernte ich auch meinen besten Freund in Syrien – Jalal- kennen.

 

KM: Kannst du mir Beispiele zu solchen „Lügen“ hiesiger Medien nennen?

 

Zum Beispiel wurden 2011 in deutschen Medien Massendemonstrationen in Syrien gezeigt, wo man von Hunderttausenden Demonstranten gegen Präsident Al Assad sprach. Zeitgleich zeigte man eine kleine Gruppe von Demonstranten und behauptete, diese wären die letzten Al Assad – Getreuen, die sich zu einer „Gegendemo“ zusammen gefunden hätten.

 

Meine Freunde in Syrien wiesen mich via Internet darauf hin, mir die Fahnen der Demonstranten anzuschauen und erklärten mir, welche die der syrischen Regierung und welche die der sogenannten „Opposition“ ist. Mit diesem Wissen erkennt man sehr schnell, dass hiesige Medien das genaue Gegenteil der Wahrheit verbreitet haben, in der dreisten Annahme, dass den wenigsten „Medien- Konsumenten“ der Unterschied beider Fahnen geläufig ist. Dem war aber nicht so. Eine Programmbeschwerde wies die ARD auf diese offensichtliche Tatsachenverdrehung hin. Daraufhin wurde eine einmalige kurze Entschuldigung gesendet und entsprechende Beiträge aus den Mediatheken genommen. Man findet aber noch heute Beispiele solcher Falschbehauptungen in diversen westlichen Medien.

 

So tragen beispielsweise bei Wikipedia [1] vermeintlich Anti-Assad-Demonstranten syrische Fahnen, bei Spiegel [2] , der auch Pro-Assad-Demonstrationen dokumentierte, wird eine Demonstration mit syrischen Fahnen als Anti-Assad-Demonstration deklariert und auch die TAZ [3] hat in ihrem Archiv ein Foto mit Tausenden von Demonstranten und Syrien-Fahnen als vermeintliches Dokument für eine Anti-Assad-Demo.

 

KM: Soll das heißen, die großen Mas­sen­demonstrationen waren in Wirklichkeit nicht gegen Assad, sondern die Antwort auf die kleineren Demonstrationen der Oppositionellen?

 

Das haben mir meine Freunde immer wieder versichert. Die Menschen dort haben doch mitbekommen, wie prowestliche Medien, wie der von den USA unterstützte und finanzierte Propaganda-Sender „ Al Jazeera“, ständig versucht haben, zum sogenannten „arabischen Frühling“ zu mobilisieren. Davon wollte und will die Mehrheit der syrischen Bevölkerung aber nichts wissen.

 

Sie demonstrierten zu Zig-Tausenden für ihr Land, ihre Regierung und ja, für ihren Präsidenten, den sie auf Druck der westlichen Regierungen 2016 ja auch neu wählen mussten und damit erneut bestätigt haben.

 

KM: Wenn diese Demonstranten für Assad demonstriert haben, wäre es doch aber ziemlich unglaubwürdig, dass die syrische Regierung auf diese Demonstranten schießen ließ.

 

So war es ja auch nicht. Meine Freunde berichteten mir, dass Djihadisten sich unter die friedlichen Demonstranten mischten und anfingen, auf die syrische Polizei zu schießen. Nachdem sich die Demonstranten in Sicherheit gebracht haben, begann die syrische Polizei zurück zu schießen. Die ganze Geschichte ist vom Herald Tribune bereits veröffentlicht worden [4].

 


Syrische Gouvernements (Karte: TUBS, CC BY-SA 3.0)

 

 

KM: Und wegen dieser offensichtlichen Falschinformationen bist du nach Syrien gereist, um dir ein eigenes Bild zu machen? Ganz schön mutig.

 

Ja, ich wollte selbst sehen, was davon wahr ist und was nicht. Aber so mutig war ich gar nicht. Es war eher so, dass sich meine Web-Kontakte immer weiter entwickelten. Wir fingen an miteinander zu telefonieren, und so hatte ich in kürzester Zeit in Syrien wirkliche liebe Freunde. Der Großteil lebt im Westteil Syriens und sie haben mich mehrfach eingeladen. Natürlich reagierte ich spontan ängstlich: Seid Ihr verrückt? Ich reise doch nicht in ein Kriegsgebiet! Wenn alles vorbei ist, komme ich gerne! Aber ihre Antworten waren immer dieselben und für mich sehr vertrauenserweckend: Hier in Latakia ist kein Krieg, Marco, Du kannst zu uns kommen! Und irgendwann habe ich zugesagt und meine Reise organisiert.

 

KM: Wie bist du denn nach Syrien gekommen?

 

Da Syrien ja von der sogenannten „Internationalen Staatengemeinschaft“ sanktioniert, besser gesagt komplett boykottiert wird, ist es sehr schwierig nach Syrien einzureisen, abgesehen von den syrischen Einreisebestimmungen und Visavergaben. Früher konnte man von Hamburg direkt nach Latakia fliegen und war nach drei bis vier Stunden dort. Das ist heute leider aufgrund der Sanktionen nicht mehr möglich. Somit bin ich zuerst nach Moskau geflogen und von dort nach Beirut im Libanon. Dort haben mich dann Freunde abgeholt und mich durch den Libanon, Richtung Norden zur syrischen Grenze gefahren. Auf der syrischen Seite haben mich meine syrischen Freunde in Empfang genommen und mich dann bis Latakia gebracht.

 


Grenzübertritt vom Libanon nach Syrien in Al Areeda (23.12.2016).

 

 

KM: Wieviel von Syrien hast du gesehen, oder hast du dich nur in Latakia aufgehalten?

 

Meine Freunde sind viel mit mir rum gefahren. Wir waren in Al Areeda im Süden, dann in Tartous, Banias, Ugarit und Wadi Quandil. Das war so das nördlichste. Von dort wäre man in ca. 3-4 Stunden Autofahrt in Idlib gewesen. Das ist ja aber Islamistengebiet und daher für uns nicht sicher.

 

KM: Hattest du keine Angst?

 

Und ob! Vor allem zu Beginn der Reise. Hier in Deutschland hatte ich nur meine Mutter und meine beste Freundin von meinen Reiseabsichten unterrichtet. Zunächst hatte ich Angst, dass am Hamburger Flughafen irgendjemand wusste oder herausbekam, was ich vorhatte und man mich dann gar nicht raus lassen würde.

 

Also war ich erst einmal wahnsinnig erleichtert, als ich im Flieger nach Moskau saß. Doch dann überkamen mich die nächsten Sorgen. Worauf ließ ich mich da eigentlich ein? Ich hatte noch nicht einen dieser Menschen persönlich kennen gelernt. Konnte ich ihnen überhaupt vertrauen?

 

Aber diese Sorgen waren in der Empfangshalle in Beirut sofort verflogen. Dort standen die beiden Männer, die mich abholen und nach Latakia bringen sollten. Mein Erkennungszeichen war meine grüne Jacke. Sie kamen sofort auf mich zu und umarmten mich, sie waren so herzlich, dass meine Angst von da an Vergangenheit war und ich mich wie zu Hause gefühlt habe.

 

KM: Eine Alleinreise nach Latakia war also nicht möglich?

 

Nein, natürlich nicht. Männer wie meine beiden Fahrer: Mounzser und Saleh, die mich abholten, leben derzeit davon, Einreisende wie mich und andere, durch Libanon nach Syrien zu begleiten. An der Grenze halfen sie mir, die nötigen Papiere zu erwerben und fuhren mich von Kontrollposten zu Kontrollposten, beantworteten jedes Mal etliche von Fragen. Da ich arabisch noch nicht beherrsche, war das natürlich sehr hilfreich. Für diese Fahrt benötigt man normalerweise ca. 3–4 Stunden.

 

Auf Grund der momentanen schwierigen Lage haben wir allerdings ca. 11 Stunden gebraucht. Aber das war es mir wert, gerade in Anbetracht dessen, dass dieses Land von Djihadisten, also islamistischen Terrorbanden überfallen wird und man ständig bedroht ist. Jede Dorf- und Stadtgrenze wird von Militärkontrollposten gesichert und geschützt, was sehr wichtig ist. Eine Woche nach meiner Abreise im Januar 2017 hat sich ein Attentäter in Jableh, einem Vorort von Latakia, auf einem Spielplatz in die Luft gesprengt. Es gab 17 Todesopfer, nur Frauen und Kinder. Niemand will, dass diese Fanatiker sich Zutritt in sichere Gebiete verschaffen. Und deshalb nimmt man diese strengen Vorsichtsmaßnahmen in Kauf. Ich muss sogar sagen: Ich habe mich nie sicherer gefühlt.

 

Die Djihadisten und islamistischen Söldnerbanden haben auch ihre Kontrollposten Richtung Norden. Die habe ich aber natürlich nicht kennen gelernt. Das hätte schnell tödlich ausgehen können. Und in die von den Islamisten besetzten Gebiete wollte ich ja auch gar nicht.

 

KM: Du gebrauchst die Begriffe Djihadisten, islamistische Söld­ner­ban­den, Terroristen. Was ist mit der Unterscheidung in radikale Islamisten und moderate Rebellen, die von unseren Politikern und Medien gemacht wird?

 

Diese Unterscheidung versteht in Syrien kein Mensch, ich übrigens auch nicht. Die vielen Menschen, mit denen ich in Syrien gesprochen habe, haben mich gefragt: Warum sagt der „Westen“ dass die, die unser Land überfallen haben, Rebellen sein sollen und unterstützen diese, und unsere Männer und Frauen, die ihr Land, ihre Heimat verteidigen, sind die „Bösen“?

 

Diese islamistischen Söldnerbanden haben, einfallend von der türkischen Grenze im Norden, Idlib, Al Bab, Raqqa etc. und im Süden von Jordanien und Israel, Daraa, Suweidaa etc. überfallen und mit Waffengewalt eingenommen. Sie schikanieren die Bevölkerung und wollen die Sharia einführen und die säkulare Staatsform Syriens in einen islamischen Gottesstaat umwandeln. Das unterstützen aber gerade einmal knapp 3 Prozent in Syrien. Überall, wo die Djihadisten eingefallen sind, sind die Menschen auf der Flucht vor ihnen.

 

Was der Westen als „moderate Rebellen“ bezeichnet, sind zum Großteil ausländische Kämpfer bzw. Rekruten, die von Quatar oder Saudi Arabien bezahlt und von den USA ausgebildet wurden und werden. Diese Förderer machen selbst keinen Unterschied zwischen Islamisten und „moderaten Rebellen“, Hauptsache, es geht gegen Assad, wie man den Berichten von Karin Leukefeld entnehmen kann.

 

KM: Kommen wir zurück zu deiner Reise. Wie war dein Eindruck, als du in Latakia angekommen bist?

 

Das Schönste: Ich wurde sehr herzlich empfangen – ganz wie in einer Familie. Obwohl wir uns ja alle vorher nie persönlich begegnet sind. Das war schon toll.

 

Meine Freunde und ihre Familien haben mich zu diversen Essen eingeladen und ich war bei vielen anderen auch zu Gast und wir haben unendlich viel geredet.

 

Mein dortiger bester Freund, Jalal, hat sich sehr um mich gekümmert und alles organisiert. Er spricht mehrere Sprachen u.a. Englisch und Deutsch fließend, was mir meinen Aufenthalt natürlich sehr erleichtert hat. Er studiert an der Tishreen Universität in Latakia Architektur. Um sein Studium zu finanzieren, unterrichtet er an einer privaten Schule Englisch und Deutsch. Jalal hat mir seine Heimat gezeigt, Städte und Regionen im Westen Syriens, die vom Krieg völlig unberührt waren.

 

Das erste, was mir schon bei meiner Reise durch Libanon nach Syrien auffiel, war, dass ich immer zwei Türme sah, die nebeneinander in den Himmel ragten, ein Kirchturm und daneben gleich ein Minarett. Jalal erklärte mir, dass es in Syrien völlig normal sei, dass Kirche und Moshee immer beieinander stehen. So sorgt man für das religiöse Gleichgewicht. Es ist einer der Grundpfeiler Syriens, dass sich keine Religion über oder vor eine andere stellt. Säkular eben. Ich finde es sehr bemerkenswert und bin immer noch erstaunt darüber, dass so verschiedene Glaubensrichtungen friedlich miteinander leben. Durch diese Politik der Religionsgleichheit ist es, wie ich dort erfahren habe, vor dem jetzigen Krieg noch nie zu irgendwelchen Auseinandersetzungen gekommen

 


Realität in Syrien: Links ein Kirchturm, rechts ein Minarett, in der Mitte die syrische Flagge. 

 

 

KM: Unsere Medien behaupten allerdings seit langem, dass der Religionsstreit eine große Rolle in Syrien spielt.

 

Ja, ich weiß. Es wird in hiesigen Medien vehement behauptet, das Bashar als Angehöriger der alawitischen Minderheit (13 Prozent) in Syrien die Sunniten und alle anderen Religionen unterdrücken würde. Alle Menschen, mit denen ich in Syrien gesprochen habe, haben diese Behauptung vehement bestritten. Sie haben mir erzählt, dass die Frau von Bashar, Asma, Sunnitin ist. Wenn also Bashar als Alavit die Sunniten so sehr hasst, warum sollte er mit einer Sunnitin eine Familie gründen? Sie sind seit über 18 Jahren verheiratet und haben zwei Söhne und eine Tochter.

 

Die Gleichberechtigung der Religionen habe ich bei vielen persönlichen Begegnungen selbst erlebt, zum Beispiel an Heilig Abend. Überall, ob in Kirchen oder Moscheen, wurde an diesem Abend Weihnachten gefeiert und überall standen die Türen weit offen. Es war wie in einem Bienenkorb, die ganze Stadt besuchte die offenen Gotteshäuser und danach feierten alle zusammen auf den festlich geschmückten Straßen und Plätzen von Latakia bis in die frühen Morgenstunden.

 

Es war für mich das schönste Weihnachtsfest, das ich jemals erlebt habe! Und gerade diese kulturelle und religiöse Offenheit wird von den Djihadisten oder auch von den sogenannten Rebellen, die vom Westen unterstützt werden, bedroht.

 

Es ist vor allem die syrische Regierung, die ein Fortbestehen der Religionsfreiheit unter allen verschiedenen Bevölkerungsschichten garantiert.

 


Moderne und Tradition in Latakia.

 

 

KM: Und was ist mit der syrischen Oppo­sition? Will sie denn den säkularen Staat abschaffen?

 

Ich habe kaum Oppositionelle in Syrien kennengelernt. Meine Freunde haben mich aber mit jemandem bekannt gemacht, der sich an Anti-Assad-Demonstrationen beteiligt hat. Ich fragte ihn, wofür er demonstriert hätte, und er antwortete: „Für die Freiheit.“ Als ich ihn fragte, was er unter Freiheit verstünde, sagte er: „Freie Religionsausübung. Ich will das Recht haben, dass meine Frau einen Schleier trägt und sich mir unterordnet, so wie es unsere Religion verlangt.“

 

Dieser junge Mann gehörte zu einer gewaltbereiten Gruppierung der Opposition. Meine Freunde erzählten mir, dass er Steine und Brandsätze auf Polizisten geworfen hatte, wofür er auch ins Gefängnis kam. Nach seiner Freilassung durfte er allerdings auch studieren. Ansonsten habe ich, wie gesagt, kaum Kontakt zu Oppositionellen gehabt. Mein Eindruck war, dass die meisten Syrer sich vor allem wünschten, dass Assad Regierungschef bleibt.

 

Bei einem Ausflug an die Ausgrabungsstätte Ugarit gingen wir nach der Besichtigung in ein Ausflugslokal. Früher war es oft überfüllt, doch nun war es menschenleer, bis auf zwei Ehepaare, die sich bald zu uns gesellten. Bei dem einen Paar war er Christ und sie Muslima – perfekt geschminkt mit Hijab. Bei dem anderen Paar war es genau umgekehrt. Aber auf dem Tisch standen Whisky und Cola, natürlich auch reichlich zu essen und die allgegenwärtigen Shishas.

 

In unserem langen Gespräch sagten sie zu mir: „Marco, wenn diese sogenannten moderaten Rebellen hier die Oberhand hätten, dann wäre das, was wir jetzt hier haben, überhaupt nicht möglich! Wir könnten hier nicht so zusammen sitzen und uns frei unterhalten und uns kennen lernen. Unsere Ehen wären nicht einmal gültig, und wir müssten unsere Heimat verlassen. Das, was wir hier heute zusammen erleben können, das geht nur, weil wir diese Regierung und Bashar haben!”

 

KM: Das klingt allmählich so, als wäre die gesamte westliche Darstellung über Syrien und die Regierung von Bashar al Assad nicht nur tendenziös, sondern einfach gelogen.

 

So ist es ja auch. Angefangen mit der Behauptung „Alawit unterdrückt die Sunniten!“ Die Mehrheit seiner Partei, der Baath Partei, stellen über 75 % Sunniten und die haben Bashar zu ihrem Parteivorsitzenden gewählt. Im syrischen Parlament sitzen 183 sunnitische Abgeordnete und 67 alawitische. Zudem ist Syrien das einzige arabische Land, das eine Frau als Parlamentspräsidentin hat, und auch diese ist Sunnitin! Also, wie meine Freunde mir in Syrien vehement erklärt haben, die Geschichte vom brutalen Allein-Herrscher ist Quatsch.

 

Ein anderes Beispiel ist der Amnesty International Bericht vom 7.2.2017 über die Justizvollzugsanstalt Sednaya (ca 30 km nördlich von Damaskus). Dieser Bericht kam völlig unmotiviert daher. Die Berichterstattung über Syrien war ja seit der Befreiung Aleppos zu Weihnachten recht ruhig geworden.

 

AI veröffentlichte Zahlen über Tausende von Hinrichtungen im Militärgefängnis von Sednaya, das gerade einmal für maximal 1.000 Personen ausgelegt ist. Dummerweise war gerade eine belgische Delegation vor Ort und hat am selben Tag verlangt, dem Bericht nachzugehen. Der belgische Abgeordnete Philipp de Winter sprach nach der Besichtigung von einer Lüge durch AI, die Kommission befand die Zustände im Gefängnis sogar als recht komfortabel für ein Gefängnis. Auch der ehemalige britische Botschafter P. Ford, der diese Einrichtung genau kennt, nannte Amnesty International bereits einen Verein von Lügnern.

 

Meine Freunde beteuerten mir, dass Amnesty International nie in Syrien gewesen sei. Sie fragen mich: Warum sollen wir beweisen, dass ihre Lügen nicht stimmen? Sie sind doch in der Beweispflicht.

 

Die Behauptungen von AI wurden übrigens auch in der „Jungen Welt“ widerlegt [5], die ja als einzige deutsche Zeitung eine ständige Auslandskorrespondentin, Karin Leukefeld, vor Ort hat. Ansonsten gibt es unbhängige Journalisten wie Eva Bartlett, Vanessa Beeley, Jan Oberg, Tim Anderson, Jürgen Todenhöfer, deren Berichte alle den westlichen Darstellungen widersprechen. Was das Militärgefängnis Sednaya betrifft, das taucht auch in dem Buch des Abenteurers Billy Six auf, der selbst dort inhaftiert war. Er schildert zwar keine rosigen Zustände, aber die krassen Behauptungen von Amnesty International findet man dort auch nicht wieder.

 

KM: Das Problem der Berichterstattung über Syrien scheint also vor allem darin zu bestehen, dass westliche Journalisten gar nicht direkt vor Ort sind, wie etwa der Syrien-Korrespondent der „tages­schau“, der regelmäßig aus Kairo berichtet.

 

Die einzigen, die vor Ort sind, sind internationale Hilfsorganisationen, also das UNHCR und der Rote Halbmond, die ich selbst gesehen habe, da die Schwester von Jalal dort arbeitet. Sie kümmert sich sehr engagiert und rührend um die Kinder von Binnenflüchtlingen. Diese Hilfsorganisationen leisten große Arbeit, obwohl ihnen das wegen der Sanktionen enorm schwer gemacht wird.

 

KM: Unsere Medien stellen es ja so dar, dass die Hunderttausende von Flüchtlingen aus Syrien, vor Assad fliehen. Das scheinen deine Darstellungen zu widerlegen. Heißt das, sie alle fliehen vor den Djihadisten?

 

Ja, die islamistischen Söldnerbanden sind der Hauptgrund für die Massenflucht in Syrien. Aber man muss sich erst einmal die Zahlen genau anschauen. Laut einer Statistik des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vom 11.1.2017 wurden gerade einmal 266.250 Personen in 2016 als syrische Kriegsflüchtlinge in Deutschland registriert.

 

In Syrien selbst leben aber über 7 Millionen Binnenkriegsflüchtlinge, die ihre Dörfer und Städte auf der Flucht vor den islamistischen Söldnerbanden verlassen haben und in sichere Gebiete geflüchtet sind, die unter dem Schutz der syrischen Regierung stehen. Also, die sind nicht „vor“, sondern „zu Assad“ geflüchtet.

 

Hier sind sie zumeist bei Verwandten oder Freunden untergekommen. Ich habe einige in meinen Gastfamilien kennen lernen dürfen.

 

Ich habe aber auch eine Familie kennengelernt, wo der etwa zwanzigjährige Sohn Syrien verlassen hat, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Er hat bereits zwei Jahre in der Türkei gelebt, dort Wohnung und Arbeit gehabt und ist 2016 mit der Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen.

 

Seine Schwester ist in Syrien geblieben und dient dort freiwillig im Militär. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war sie auf Urlaub zu Hause und ich hörte, wie sie mit ihrem Bruder telefonierte, der sich gerade in Amsterdam aufhielt. Sein Vater lehnte es ab, mit ihm zu sprechen. Dieser junge Mann, den ich nie kennengelernt habe, ist ein gutes Beispiel für die syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Laut einer Statistik des BAMF sind 8 von 10 Flüchtlingen männlich und zwischen 15 und 35.

 

KM: Aber es ist doch auch nachvollziehbar, dass jemand, der die Chance hat, in Deutschland zu studieren, lieber diesen Weg geht, als sich in einem Krieg verheizen zu lassen.

 

In unserem friedlichen Deutschland sagt sich das so leicht. Wenn man die Hintergründe nicht kennt. Für die Familien der Geflüchteten ist das allerdings nicht so einfach. Viele halten sich mit einem Kleingewerbe über Wasser. Da ist man auf seinen guten Ruf angewiesen. Wenn jemand einen Sohn oder gar Tochter hat, die in der syrischen Armee gegen die Djihadisten kämpft, dann hat man auch gute Kundschaft. Eine Familie, deren Sohn oder gar mehrere Söhne sich durch Flucht dem Militärdienst entziehen, hat entsprechend weniger Ansehen und somit kaum oder gar keine Kunden. Das klingt hart, aber diese Menschen sind bedroht und so funktioniert die Logik des Krieges.

 

KM: Du hast eben erwähnt, dass du eine junge Frau kennengelernt hast, die sich freiwillig zum Militärdienst in der syrischen Armee gemeldet hat.

 

Nicht nur eine. Nach Angaben meiner Freunde gibt es derzeit 40.000 weibliche Soldaten, die gegen die Djihadisten kämpfen. Auf meiner Reise habe ich eine ganze Gruppe kennen gelernt. Sie kamen aus dem Weihnachtsurlaub und waren auf dem Weg zu ihrer Einheit in der syrischen Armee. Sehr mutige junge Frauen, für die es eine Selbstverständlichkeit ist, ihr Vaterland zu verteidigen und vom islamistischen Terror zu befreien. Wir sind gut zwei Stunden zusammen gefahren, und sie haben mir Fotos gezeigt und von ihrem Armeeleben erzählt. Es war für mich sehr bewegend und ich habe größte Hochachtung für diese Mädels!

 

Umso mehr kann man sich vorstellen, wie es einem Vater geht, dessen Tochter freiwillig zur Armee geht, während der Sohn sich ins sichere Ausland absetzt.

 


Begegnung mit syrischen Soldatinnen auf dem Busbahnhof von Tartus.

 

 

KM: Aber auch das kann doch sinnvoll sein. Ich habe gehört, dass viele syrische Flüchtlinge begonnen haben, in Deutschland zu studieren.

 

Ja, ich weiß. Sie werden von Deutschland ja regelrecht dazu aufgefordert. Meine Freunde haben mich darauf hingewiesen, dass über die deutschen Botschaften in Amman und Beirut Studenten angeworben werden. Frank Walter Steinmeier hat einmal behauptet, Syrien sei dabei, wegen des Krieges eine ganze Generation junger Akademiker zu verlieren. Deshalb wurde das Ausbildungsprogramm „Leader for Syria“ ins Leben gerufen, das Studienplätze in Deutschland an Syrer vergibt.

 

Aber Steinmeiers Behauptung hat nichts mit der Realität zu tun. Keine einzige Uni wurde in Syrien geschlossen, der Betrieb läuft ganz normal weiter und Jahr für Jahr werden Bachelor und Master Abschlüsse gefeiert. Der Großteil meiner Freunde studiert an der zweitgrößten Uni des Landes in Latakia, der Tishreen Universität.

 

KM: Du meinst also, es ist eher eine Art Braindrain, ausgerechnet junge Akademiker nach Deutschland zu holen?

 

Wenn Syrien gerade eine Generation junger Akademiker verliert, dann sind es die, die auf diese Weise abgeworben werden. So sehen meine Freunde das und ich auch. Zumindest so lange sie nicht zurückkommen.

 

KM: Kommen wir noch einmal zurück zum Kriegsgeschehen. Was haben die Menschen, die du kennen gelernt hast, über den Militäreinsatz von Russland gesagt?

 

Also ich habe nur Positives gehört. Sie sind offensichtlich sehr froh darüber, dass Russland ihnen zur Hilfe gekommen ist. Wobei die syrische Armee ja auch schon vom Iran, China, der palästinensischen Hisbolla und der kurdischen YPG unterstützt wird. Jedoch der Einsatz Russlands hat eine Wende in Syrien herbeigeführt. Der Vormarsch der Djihadisten konnte endgültig gestoppt werden.

 

Es ist ja nicht so, dass die russische Armee ständig und alles bombardiert, wie es hier in hiesigen Medien immer gerne dargestellt wird. Ganz im Gegenteil, sie haben überall mobile Krankenhäuser und Feldlazarette aufgebaut und damit nicht nur die Versorgung der Soldaten, sondern vor allem die Versorgung der Bevölkerung, gerade in den umkämpften Gebieten, erheblich verbessert. Außerdem liefert Russland, gemeinsam mit anderen Staaten, wie China, Iran u.a. regelmäßig Hilfsgüter nach Syrien. Z.B. gibt es jetzt in Syrien eine bestimmte Sorte Knabberzeug aus Russland oder auch Zigaretten. In allen Bars etc. haben wir diese russischen Produkte bekommen.

 

KM: Du warst gerade in Syrien, als die syrische und russische Armee Aleppo-Ost zurück erobert haben. In unseren Medien wurde von einer Hölle auf Erden gesprochen. Was hast du davon mitbekommen?

 

Aleppo wurde in meinen Augen nicht erobert, sondern von den islamistischen Terrorbanden befreit! Ich habe ja viele verschiedene Familien besucht, da waren auch einige dabei, die Verwandte aus Aleppo-Ost aufgenommen haben. Sobald es Strom gab, lief dort der Fernseher. Die Leute verfolgten gespannt jede Nachricht.

 

Alle hofften, die Regierungstruppen und Russland würden die sogenannten Rebellen besiegen. Dabei muss man aber auch betonen, dass der Ostteil Aleppos, der von den Islamisten besetzt war, gerade einmal 15 Prozent der Gesamtfläche Aleppos ausmacht. Die westliche Berichterstattung über die totale Zerstörung Aleppos ist maßlos übertrieben.

 

Als im Fernsehen über die völlige Befreiung Aleppos berichtet wurde, habe ich miterlebt, wie Bewohner Aleppos, die nach Latakia geflüchtet waren, spontan aufsprangen um ihre Taschen zu packen. Sie freuten sich riesig und wollten so schnell wie möglich in ihre Stadt. Sie wollten wissen, was aus ihrem Haus geworden ist, sie wollten Weihnachten in Aleppo feiern. An den Weihnachtsfeiertagen haben sie uns dann Fotos und Videos geschickt, um uns die Freudenfeiern auf Aleppos Straßen zu zeigen. Sie waren wirklich sehr glücklich. Denn es war seit der Besetzung durch die Islamisten das erste Weihnachtsfest seit fünf Jahren in Aleppo-Ost!

 

KM: Das klingt ja fast so, als wäre die Tragödie in Syrien gar nicht so schlimm. Die Djihadisten haben nur einen Teil der Provinzen eingenommen und in den Regierungsgebieten lebt man friedlich und unbehelligt?

 

Das ist leider nicht so. Die Not in Syrien ist groß! Aber nicht deshalb, weil Bashar ein Schlächter ist und seine eigene Bevölkerung massakriert, was einfach nicht stimmt. Die Not in Syrien ist vor allem durch die Sanktionen des Westens verursacht, die fast das gesamte wirtschaftliche Leben in Syrien zum Erliegen gebracht haben. Das ist eine echte Katastrophe für Syrien, über die meines Wissens nicht eine einzige Nachrichtensendung umfassend und vor allem fair berichtet hat.

 

KM: Wie sehen diese Sanktionen denn genau aus? Wie hast du die Auswirkungen vor Ort erlebt?

 

Es ist der totale Boykott! Syrien kann nichts in die EU oder USA exportieren und absolut nichts von dort importieren. Nur ein paar Beispiele: Der internationale Zahlungsverkehr ist gesperrt, ich kann also meinen Freunden in Syrien nicht einmal etwas Geld überweisen, damit es ihnen etwas besser geht, ich darf es nicht. Davon sind natürlich alle betroffen, auch gerade Hilfsorganisationen wie das UNHCR oder der Rote Halbmond.

 

Alle Hilfsleistungen laufen nur noch über Moskau, Teheran und Beirut. Das ist natürlich mit erheblichen Problemen verbunden. Ein krasses Beispiel: Die Djihadisten haben etliche Wasserwerke, Stromkraftwerke und Leitungen zerstört. Um diese zu reparieren, werden Ersatzteile benötigt, die Syrien einkaufen müsste. Dürfen sie aber nicht. Das schadet Syrien, aber auch den Anbietern in Europa entgehen große Aufträge. Es ist absurd.

 

Ein anderes Beispiel: Syrien war der größte Weizenlieferant Italiens, das seine Nudeln aus syrischem Weizen hergestellt hat. Die Exporteinbußen kann man sich in etwa vorstellen. Mich als Schneider trifft der Boykott syrischer Baumwolle. Es ist die feinste Baumwolle der Welt, aus der besonders edle Musselin-Stoffe hergestellt wurden. Die Haute Couture Häuser des Westens waren große Abnehmer und müssen sich nun mit einer qualitativ minderwertigeren Baumwolle aus Ägypten begnügen.

 

Durch die Sanktionen ist die nationale Wirtschaft Syriens in den Kriegsjahren derart geschrumpft, dass das Pro-Kopf- Einkommen der Bevölkerung von ca. 500 Euro im Monat auf ca. 80–100 Euro im Monat gesunken ist.

 

Alle meine Freunde und Bekannten in Syrien sind mehr oder weniger arm, obwohl alle von ihnen arbeiten, aber von ihrem Einkommen können sie kaum leben. Ich habe als Gastgeschenke meistens Kaffee, Tee und vor allem Rosinen mitgebracht. Ein Kilo Rosinen kostet dort auf dem Souk ca. 6 Euro, für einen Syrer ein enorm hoher Preis. Doch Rosinen gehören zur syrischen Küche wie bei uns Pfeffer und Salz, deshalb waren sie immer ein gutes Geschenk.

 

KM: Sanktionen sind ja ein extrem frag­würdiges Mittel in unseren heutigen politischen Konflikten. Westliche Länder geben vor, Diktatoren damit zu bestrafen, üben aber in Wirklichkeit Druck auf die Bevölkerung aus, in der Hoffnung, dass diese gegen den vermeintlichen „Diktator“ rebellieren.

 

Ganz genau. Im Grunde genommen ist das indirekte Kriegsführung. Aber in Syrien klappt das eben nicht. Die Bevölkerung steht zu ihrer Regierung und ihrem Präsidenten und daran wird der Westen trotz all seiner Lügen und Sanktionen nichts ändern können. Und zum Glück bekommt Syrien ja viel Hilfe. Neben den Hilfsorganisationen, die ich bereits genannt habe, ist auch Bernd Duschner dort unterwegs, mit seinem 1999 gegründeten Verein „Freundschaft mit Valjevo“, der sich jetzt auch für Hilfsbedürftige in Syrien engagiert. Er ging sogar so weit, Angela Merkel eine Kriminelle zu nennen.

 

KM: Ein harter Vorwurf.

 

„Aber er stimmt. Während sich Angela Merkel für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge als große Humanistin feiern lässt, ist sie eine der mächtigsten Befürworter der Syrien-Sanktionen. Die Auswirkungen der Sanktionen stellen eine Bedrohung für Leib und Leben der syrischen Bevölkerung dar.

 

Wie gesagt, der internationale Geldverkehr (Geldautomaten, Banküberweisungen) ist völlig blockiert, und so ist es den Hilfsorganisationen kaum möglich, Hilfsgüter vor Ort zu kaufen, was ja auch gut für die syrische Wirtschaft wäre. Die meisten Hilfsgüter können nur von außen nach Syrien gebracht werden, oft mit einem absurd hohen Transportaufwand, denn der Flugverkehr liegt ja lahm. Außerdem ist vieles, wie z.B. Medikamente, in Syrien aufgrund des Boykotts nicht vorhanden. Das sind lebensgefährliche Versorgungslücken.

 

Auch Telefonieren kann zum Problem werden, denn alle führenden (westlichen) Mobilfunknetze sind für Syrien abgeschaltet und nicht verfügbar. Und hier heißt es dann, Assad würde sich hermetisch abriegeln. Wenigstens funktionieren Internet und W-Lan in Syrien hervorragend, das war dann auch meine einzige Verbindung nach Deutschland.

 

Ein anderes und großes Problem in Syrien ist die Stromversorgung. Es gibt nur noch ein einziges intaktes Stromkraftwerk in Banias. Das ist natürlich viel zu wenig und so versucht man die Stromversorgung stundenweise und möglichst gleichmäßig auf die Region zu verteilen. Das heißt, ein Haushalt hat nur zu einer begrenzten Zeit am Tag Strom. Ich habe noch nie so gefroren wie in Syrien. Wenn ich das nächste Mal hinfahre, will ich Solarbatterien mitbringen

 

KM: Es wird also für dich ein nächstes Mal geben?

 

Ja, natürlich und hoffentlich mehr als das. Ich möchte gerne dort leben. Mein Plan ist es, in Syrien ein Ausbildungszentrum für Schneider/innen zu gründen, das den Absolventen notwendiges fachtheoretisches Wissen und Fachpraxis nach dualen Ausbildungsstandards vermittelt und ihnen somit einen anerkannten Berufsabschluss ermöglicht. Den man auf nationalen und besonders auf dem internationalen Markt benötigt.

 

Ich hoffe, dass ich von syrischer Seite alle dazu nötigen Genehmigungen erhalte. Syrien hat tolle Schneider, aber sie haben keine Möglichkeiten, einen international anerkannten Abschluss zu machen. Das könnte ich mit meinem Ausbildungszentrum ändern. Ich habe mich dazu in Latakia mit Vertretern der Latakia – Fashion – Week getroffen und Gespräche geführt.

 

KM: Noch bist du ja hier und seit deiner Rückkehr politisch auch ziemlich aktiv. Du hast deine Eindrücke z.B. auf Facebook gepostet und am 12. Januar einen ersten Bild-Vortrag in Hamburg gemacht. Wie waren die Reaktionen?

 

Seitdem habe ich bisher sechs Vorträge gehalten und die Reaktionen waren recht positiv, wenn auch schwierig. Die meisten Leute sind sehr neugierig und sehr interessiert. Natürlich merke ich an ihren Fragen immer, was sie für ein vorgefertigtes Bild über Syrien haben und dass das, was ich ihnen erzähle, dieses bisherige Syrien-Bild völlig auf den Kopf stellt.

 

Bei meinem ersten Vortrag war eine Lehrerin dabei, die mich bat, diesen Vortrag auch an ihrer Schule zu halten. Inzwischen habe ich schon 12 solcher Anfragen, vor allem von Hamburger Schulen mit hohem Migrationsanteil. Einige Schul-Vorträge habe ich auch schon gehalten. Natürlich begegnet mir da auch viel Skepsis. Zum Glück habe ich bei meinem ersten Vortrag einen Syrer kennen gelernt, der hier lebt und der alle meine Erfahrungen und Erlebnisse zu 95 Prozent bestätigen kann. Er ist immer dabei und spätestens, wenn er mir beipflichtet, glauben mir die Schüler und auch die Lehrer. Aber ich merke schon, wie bei vielen die Fassungslosigkeit wächst. Sie können sich einfach nicht erklären, warum sie von hiesigen Medien so offensichtlich belogen und hinters Licht geführt werden.

 

KM: Hast du eine Erklärung dafür?

 

Es scheint die Aufgabe unserer Medien zu sein, die wahren Gründe zu verschleiern. Es geht um Gas und Öl, also um geostrategische Machtverhältnisse und ganz bestimmt nicht um Demokratie. Das wissen auch meine Freunde in Syrien. Der Leiter des Zentrums für strategische Forschungen in Damaskus, Dr. Imad Fausi Shuajbi sagte 2012:

 

„Der Reichtum Syriens ist zu seinem Fluch geworden!“

 

Dieses Zitat, so hatte ich den Eindruck, scheint in Syrien jeder zu kennen. Schließlich weiß hier auch jeder, dass es bei der völkerrechtswidrigen Einnahme der Golan-Höhen durch Israel im Süden Syriens nur um das Öl geht, das man diesem Land raubt.

 

In den syrischen Medien wird ja ganz offen dargestellt, was hier im Westen immer verschwiegen wird. In Syrien gibt es keinen Zweifel darüber, dass der Auslöser für die Unterstützung der Djijadisten durch den Westen der Streit um ein Pipeline-Projekt war. Kurz gesagt, es gab zwei Projekte, ein US-amerikanisches und ein russisches. Beide sollten durch Syrien laufen und Syrien musste sich entscheiden.

 

Syrien hat sich für die Kooperation mit Russland entschieden und kurz darauf war Assad plötzlich der „Schlächter.“ Westliche Journalisten würden so etwas vermutlich als syrische Propaganda einstufen.

 

KM: Gut möglich. Allerdings scheint der Propaganda-Begriff momentan neue Entwicklungen zu nehmen. Als Propaganda wird ja vor allem immer das bezeichnet, was nicht ins eigene Weltbild passt.

 

Deshalb ist der Rat meines Vaters, sich immer beide Seiten anzuschauen, umso wichtiger geworden. In den syrischen Medien wird auch davon gesprochen, dass sich inzwischen die Türkei dem russisch-syrischen Pipeline-Projekt angeschlossen hat. Damit scheint aber das Projekt der USA endgültig vom Tisch zu sein, und es wäre zu hoffen, dass dementsprechend auch das Engagement der USA in Syrien erlahmen wird.

 

KM: Also Hoffnung für Syrien?

 

Schwer zu sagen. Die USA werden momentan im Norden Syriens aktiv, jedoch ohne sich mit der Syrischen Regierung abzustimmen.

 

Die Erfolge der Syrischen Armee gegen die Djihadisten setzen sich fort. Momentan macht Syrien die Einreise ins Land noch so schwer wie möglich, um das Einsickern von Djihadisten aus dem Ausland zu verhindern. Was auch verständlich ist, mir die Sache allerdings ziemlich schwer macht. Ich hoffe sehr, dass dieser sinnlose Krieg dieses Jahr zu Ende sein wird, es war mein Silvesterwunsch mit meinen Freunden auf dem Hausdach um Mitternacht.

 

Ich hoffe sehr, dass ich bald einen positiven Bescheid erhalte und vor allem die furchtbaren westlichen Sanktionen auslaufen und die Menschen in Syrien endlich wieder aufatmen können. Syrien hätte dann eine wirkliche tolle Zukunft und das Schönste … ich könnte meinen Beitrag dazu leisten.

 

KM: Ich danke Dir für das Gespräch.

 

 

 

 

 

Quellen:

[1] Wikipedia, „Chronik des Bürgerkriegs in Syrien 2011“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Chronik_des_Bürgerkriegs_in_Syrien_2011>

[2] Spiegel Online, „Tausende Menschen demonstrieren gegen Assad“, am 15.04.2011, <http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-tausende-menschen-demonstrieren-gegen-assad-a-757387.html>

[3] TAZ, „Erneut hunderte von Festnahmen“, am 25.07.2011, <http://www.taz.de/!5115630/>

[4] American Herald Tribune, Steven Sahiounie, „The day before Deraa: How the war broke out in Syria“, am 10.08.2016, <https://ahtribune.com/world/north-africa-south-west-asia/syria-crisis/1135-day-before-deraa.html>

[5] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>

[6] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>

[7] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>

Der unsichtbare Krieg

Der Hamburger Schneidermeister und Modeschöpfer, Marco Glowatzki fuhr von Dezember 2016 bis Januar 2017 für 14 Tage allein in das kriegsgeplagte Land Syrien. Was er dort hörte und erlebte, steht im „krassen“ Widerspruch zu den Syrien- Darstellungen in hiesigen Leitmedien. Katrin McClean sprach mit ihm über seine Eindrücke

Von Published On: 18. Oktober 2018Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 28.04.2017 auf RUBICON unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/der-leise-tod> veröffentlicht. Lizenz:  Katrin McClean, Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

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KM: Marco, Du bist ein erfolgreicher und viel gefragter Haute Couture Schneider in Hamburg. Klingt eigentlich nach jemandem, der schon genug um die Ohren hat. Wie kam es zu deiner Reise in das Krisengebiet Syrien?

 

Zunächst einmal: Ich bin in der DDR aufgewachsen, vom Jungpionier über Thälmannpionier bis zum FDJler und hatte einen Vater, der politisch sehr aktiv und interessiert war. In Mecklenburg, nicht weit entfernt von der innerdeutschen Grenze, konnten wir „Westfernsehen“ schauen. Wir sahen also nacheinander Aktuelle Kamera und Tagesschau. Häufig wurde über ein und denselben Tatbestand völlig konträr berichtet. Mein Vater hielt mich dabei immer dazu an: höre dir beide Seiten an und bilde dir dann deine eigene Meinung und wenn du noch mehr wissen willst, lese Sachbücher oder fahr, wenn du kannst, selbst hin und mache dir dein eigenes Bild. Was zu DDR – Zeiten natürlich kaum möglich war.

 

Nach der „Wende“ reiste ich vorwiegend in orientalische Länder – wie Marokko (7x), Tunesien, Ägypten, Türkei, Iran und jetzt Libanon und Syrien – die mich immer schon kulturell und kunsthistorisch sehr interessiert haben. Region und Kultur sind mir also schon länger vertraut.

 

Während meiner Ausbildung, u.a. an der Fachhochschule in Hamburg lernte ich viele andere „Azubis“ unterschiedlichster Nationalitäten kennen – in meiner Klasse, waren wir zwei deutsche – u.a. Türken, Marokkaner und Syrer. Mit vielen blieb ich bis heute in Kontakt. Als ab 2011 Berichte über einen angeblichen Volksaufstand, ergo Bürgerkrieg in Syrien aufkamen, behaupteten meine syrischen Freunde, das wäre blanker Unsinn.

 

Darüber verunsichert besuchte ich verschiedenste Internetforen zum Thema Syrien. Dort beteiligten sich auch viele Syrer, die in ihrer Heimat leben und von dort aus Behauptungen und Nachrichten korrigieren bzw. relativieren. Sie wiesen mich, mehr als glaubwürdig, auf zahlreiche Lügen in hiesigen Medien hin und konnten diese mit handfesten Beweisen untermauern. In einem dieser Foren lernte ich auch meinen besten Freund in Syrien – Jalal- kennen.

 

KM: Kannst du mir Beispiele zu solchen „Lügen“ hiesiger Medien nennen?

 

Zum Beispiel wurden 2011 in deutschen Medien Massendemonstrationen in Syrien gezeigt, wo man von Hunderttausenden Demonstranten gegen Präsident Al Assad sprach. Zeitgleich zeigte man eine kleine Gruppe von Demonstranten und behauptete, diese wären die letzten Al Assad – Getreuen, die sich zu einer „Gegendemo“ zusammen gefunden hätten.

 

Meine Freunde in Syrien wiesen mich via Internet darauf hin, mir die Fahnen der Demonstranten anzuschauen und erklärten mir, welche die der syrischen Regierung und welche die der sogenannten „Opposition“ ist. Mit diesem Wissen erkennt man sehr schnell, dass hiesige Medien das genaue Gegenteil der Wahrheit verbreitet haben, in der dreisten Annahme, dass den wenigsten „Medien- Konsumenten“ der Unterschied beider Fahnen geläufig ist. Dem war aber nicht so. Eine Programmbeschwerde wies die ARD auf diese offensichtliche Tatsachenverdrehung hin. Daraufhin wurde eine einmalige kurze Entschuldigung gesendet und entsprechende Beiträge aus den Mediatheken genommen. Man findet aber noch heute Beispiele solcher Falschbehauptungen in diversen westlichen Medien.

 

So tragen beispielsweise bei Wikipedia [1] vermeintlich Anti-Assad-Demonstranten syrische Fahnen, bei Spiegel [2] , der auch Pro-Assad-Demonstrationen dokumentierte, wird eine Demonstration mit syrischen Fahnen als Anti-Assad-Demonstration deklariert und auch die TAZ [3] hat in ihrem Archiv ein Foto mit Tausenden von Demonstranten und Syrien-Fahnen als vermeintliches Dokument für eine Anti-Assad-Demo.

 

KM: Soll das heißen, die großen Mas­sen­demonstrationen waren in Wirklichkeit nicht gegen Assad, sondern die Antwort auf die kleineren Demonstrationen der Oppositionellen?

 

Das haben mir meine Freunde immer wieder versichert. Die Menschen dort haben doch mitbekommen, wie prowestliche Medien, wie der von den USA unterstützte und finanzierte Propaganda-Sender „ Al Jazeera“, ständig versucht haben, zum sogenannten „arabischen Frühling“ zu mobilisieren. Davon wollte und will die Mehrheit der syrischen Bevölkerung aber nichts wissen.

 

Sie demonstrierten zu Zig-Tausenden für ihr Land, ihre Regierung und ja, für ihren Präsidenten, den sie auf Druck der westlichen Regierungen 2016 ja auch neu wählen mussten und damit erneut bestätigt haben.

 

KM: Wenn diese Demonstranten für Assad demonstriert haben, wäre es doch aber ziemlich unglaubwürdig, dass die syrische Regierung auf diese Demonstranten schießen ließ.

 

So war es ja auch nicht. Meine Freunde berichteten mir, dass Djihadisten sich unter die friedlichen Demonstranten mischten und anfingen, auf die syrische Polizei zu schießen. Nachdem sich die Demonstranten in Sicherheit gebracht haben, begann die syrische Polizei zurück zu schießen. Die ganze Geschichte ist vom Herald Tribune bereits veröffentlicht worden [4].

 


Syrische Gouvernements (Karte: TUBS, CC BY-SA 3.0)

 

 

KM: Und wegen dieser offensichtlichen Falschinformationen bist du nach Syrien gereist, um dir ein eigenes Bild zu machen? Ganz schön mutig.

 

Ja, ich wollte selbst sehen, was davon wahr ist und was nicht. Aber so mutig war ich gar nicht. Es war eher so, dass sich meine Web-Kontakte immer weiter entwickelten. Wir fingen an miteinander zu telefonieren, und so hatte ich in kürzester Zeit in Syrien wirkliche liebe Freunde. Der Großteil lebt im Westteil Syriens und sie haben mich mehrfach eingeladen. Natürlich reagierte ich spontan ängstlich: Seid Ihr verrückt? Ich reise doch nicht in ein Kriegsgebiet! Wenn alles vorbei ist, komme ich gerne! Aber ihre Antworten waren immer dieselben und für mich sehr vertrauenserweckend: Hier in Latakia ist kein Krieg, Marco, Du kannst zu uns kommen! Und irgendwann habe ich zugesagt und meine Reise organisiert.

 

KM: Wie bist du denn nach Syrien gekommen?

 

Da Syrien ja von der sogenannten „Internationalen Staatengemeinschaft“ sanktioniert, besser gesagt komplett boykottiert wird, ist es sehr schwierig nach Syrien einzureisen, abgesehen von den syrischen Einreisebestimmungen und Visavergaben. Früher konnte man von Hamburg direkt nach Latakia fliegen und war nach drei bis vier Stunden dort. Das ist heute leider aufgrund der Sanktionen nicht mehr möglich. Somit bin ich zuerst nach Moskau geflogen und von dort nach Beirut im Libanon. Dort haben mich dann Freunde abgeholt und mich durch den Libanon, Richtung Norden zur syrischen Grenze gefahren. Auf der syrischen Seite haben mich meine syrischen Freunde in Empfang genommen und mich dann bis Latakia gebracht.

 


Grenzübertritt vom Libanon nach Syrien in Al Areeda (23.12.2016).

 

 

KM: Wieviel von Syrien hast du gesehen, oder hast du dich nur in Latakia aufgehalten?

 

Meine Freunde sind viel mit mir rum gefahren. Wir waren in Al Areeda im Süden, dann in Tartous, Banias, Ugarit und Wadi Quandil. Das war so das nördlichste. Von dort wäre man in ca. 3-4 Stunden Autofahrt in Idlib gewesen. Das ist ja aber Islamistengebiet und daher für uns nicht sicher.

 

KM: Hattest du keine Angst?

 

Und ob! Vor allem zu Beginn der Reise. Hier in Deutschland hatte ich nur meine Mutter und meine beste Freundin von meinen Reiseabsichten unterrichtet. Zunächst hatte ich Angst, dass am Hamburger Flughafen irgendjemand wusste oder herausbekam, was ich vorhatte und man mich dann gar nicht raus lassen würde.

 

Also war ich erst einmal wahnsinnig erleichtert, als ich im Flieger nach Moskau saß. Doch dann überkamen mich die nächsten Sorgen. Worauf ließ ich mich da eigentlich ein? Ich hatte noch nicht einen dieser Menschen persönlich kennen gelernt. Konnte ich ihnen überhaupt vertrauen?

 

Aber diese Sorgen waren in der Empfangshalle in Beirut sofort verflogen. Dort standen die beiden Männer, die mich abholen und nach Latakia bringen sollten. Mein Erkennungszeichen war meine grüne Jacke. Sie kamen sofort auf mich zu und umarmten mich, sie waren so herzlich, dass meine Angst von da an Vergangenheit war und ich mich wie zu Hause gefühlt habe.

 

KM: Eine Alleinreise nach Latakia war also nicht möglich?

 

Nein, natürlich nicht. Männer wie meine beiden Fahrer: Mounzser und Saleh, die mich abholten, leben derzeit davon, Einreisende wie mich und andere, durch Libanon nach Syrien zu begleiten. An der Grenze halfen sie mir, die nötigen Papiere zu erwerben und fuhren mich von Kontrollposten zu Kontrollposten, beantworteten jedes Mal etliche von Fragen. Da ich arabisch noch nicht beherrsche, war das natürlich sehr hilfreich. Für diese Fahrt benötigt man normalerweise ca. 3–4 Stunden.

 

Auf Grund der momentanen schwierigen Lage haben wir allerdings ca. 11 Stunden gebraucht. Aber das war es mir wert, gerade in Anbetracht dessen, dass dieses Land von Djihadisten, also islamistischen Terrorbanden überfallen wird und man ständig bedroht ist. Jede Dorf- und Stadtgrenze wird von Militärkontrollposten gesichert und geschützt, was sehr wichtig ist. Eine Woche nach meiner Abreise im Januar 2017 hat sich ein Attentäter in Jableh, einem Vorort von Latakia, auf einem Spielplatz in die Luft gesprengt. Es gab 17 Todesopfer, nur Frauen und Kinder. Niemand will, dass diese Fanatiker sich Zutritt in sichere Gebiete verschaffen. Und deshalb nimmt man diese strengen Vorsichtsmaßnahmen in Kauf. Ich muss sogar sagen: Ich habe mich nie sicherer gefühlt.

 

Die Djihadisten und islamistischen Söldnerbanden haben auch ihre Kontrollposten Richtung Norden. Die habe ich aber natürlich nicht kennen gelernt. Das hätte schnell tödlich ausgehen können. Und in die von den Islamisten besetzten Gebiete wollte ich ja auch gar nicht.

 

KM: Du gebrauchst die Begriffe Djihadisten, islamistische Söld­ner­ban­den, Terroristen. Was ist mit der Unterscheidung in radikale Islamisten und moderate Rebellen, die von unseren Politikern und Medien gemacht wird?

 

Diese Unterscheidung versteht in Syrien kein Mensch, ich übrigens auch nicht. Die vielen Menschen, mit denen ich in Syrien gesprochen habe, haben mich gefragt: Warum sagt der „Westen“ dass die, die unser Land überfallen haben, Rebellen sein sollen und unterstützen diese, und unsere Männer und Frauen, die ihr Land, ihre Heimat verteidigen, sind die „Bösen“?

 

Diese islamistischen Söldnerbanden haben, einfallend von der türkischen Grenze im Norden, Idlib, Al Bab, Raqqa etc. und im Süden von Jordanien und Israel, Daraa, Suweidaa etc. überfallen und mit Waffengewalt eingenommen. Sie schikanieren die Bevölkerung und wollen die Sharia einführen und die säkulare Staatsform Syriens in einen islamischen Gottesstaat umwandeln. Das unterstützen aber gerade einmal knapp 3 Prozent in Syrien. Überall, wo die Djihadisten eingefallen sind, sind die Menschen auf der Flucht vor ihnen.

 

Was der Westen als „moderate Rebellen“ bezeichnet, sind zum Großteil ausländische Kämpfer bzw. Rekruten, die von Quatar oder Saudi Arabien bezahlt und von den USA ausgebildet wurden und werden. Diese Förderer machen selbst keinen Unterschied zwischen Islamisten und „moderaten Rebellen“, Hauptsache, es geht gegen Assad, wie man den Berichten von Karin Leukefeld entnehmen kann.

 

KM: Kommen wir zurück zu deiner Reise. Wie war dein Eindruck, als du in Latakia angekommen bist?

 

Das Schönste: Ich wurde sehr herzlich empfangen – ganz wie in einer Familie. Obwohl wir uns ja alle vorher nie persönlich begegnet sind. Das war schon toll.

 

Meine Freunde und ihre Familien haben mich zu diversen Essen eingeladen und ich war bei vielen anderen auch zu Gast und wir haben unendlich viel geredet.

 

Mein dortiger bester Freund, Jalal, hat sich sehr um mich gekümmert und alles organisiert. Er spricht mehrere Sprachen u.a. Englisch und Deutsch fließend, was mir meinen Aufenthalt natürlich sehr erleichtert hat. Er studiert an der Tishreen Universität in Latakia Architektur. Um sein Studium zu finanzieren, unterrichtet er an einer privaten Schule Englisch und Deutsch. Jalal hat mir seine Heimat gezeigt, Städte und Regionen im Westen Syriens, die vom Krieg völlig unberührt waren.

 

Das erste, was mir schon bei meiner Reise durch Libanon nach Syrien auffiel, war, dass ich immer zwei Türme sah, die nebeneinander in den Himmel ragten, ein Kirchturm und daneben gleich ein Minarett. Jalal erklärte mir, dass es in Syrien völlig normal sei, dass Kirche und Moshee immer beieinander stehen. So sorgt man für das religiöse Gleichgewicht. Es ist einer der Grundpfeiler Syriens, dass sich keine Religion über oder vor eine andere stellt. Säkular eben. Ich finde es sehr bemerkenswert und bin immer noch erstaunt darüber, dass so verschiedene Glaubensrichtungen friedlich miteinander leben. Durch diese Politik der Religionsgleichheit ist es, wie ich dort erfahren habe, vor dem jetzigen Krieg noch nie zu irgendwelchen Auseinandersetzungen gekommen

 


Realität in Syrien: Links ein Kirchturm, rechts ein Minarett, in der Mitte die syrische Flagge. 

 

 

KM: Unsere Medien behaupten allerdings seit langem, dass der Religionsstreit eine große Rolle in Syrien spielt.

 

Ja, ich weiß. Es wird in hiesigen Medien vehement behauptet, das Bashar als Angehöriger der alawitischen Minderheit (13 Prozent) in Syrien die Sunniten und alle anderen Religionen unterdrücken würde. Alle Menschen, mit denen ich in Syrien gesprochen habe, haben diese Behauptung vehement bestritten. Sie haben mir erzählt, dass die Frau von Bashar, Asma, Sunnitin ist. Wenn also Bashar als Alavit die Sunniten so sehr hasst, warum sollte er mit einer Sunnitin eine Familie gründen? Sie sind seit über 18 Jahren verheiratet und haben zwei Söhne und eine Tochter.

 

Die Gleichberechtigung der Religionen habe ich bei vielen persönlichen Begegnungen selbst erlebt, zum Beispiel an Heilig Abend. Überall, ob in Kirchen oder Moscheen, wurde an diesem Abend Weihnachten gefeiert und überall standen die Türen weit offen. Es war wie in einem Bienenkorb, die ganze Stadt besuchte die offenen Gotteshäuser und danach feierten alle zusammen auf den festlich geschmückten Straßen und Plätzen von Latakia bis in die frühen Morgenstunden.

 

Es war für mich das schönste Weihnachtsfest, das ich jemals erlebt habe! Und gerade diese kulturelle und religiöse Offenheit wird von den Djihadisten oder auch von den sogenannten Rebellen, die vom Westen unterstützt werden, bedroht.

 

Es ist vor allem die syrische Regierung, die ein Fortbestehen der Religionsfreiheit unter allen verschiedenen Bevölkerungsschichten garantiert.

 


Moderne und Tradition in Latakia.

 

 

KM: Und was ist mit der syrischen Oppo­sition? Will sie denn den säkularen Staat abschaffen?

 

Ich habe kaum Oppositionelle in Syrien kennengelernt. Meine Freunde haben mich aber mit jemandem bekannt gemacht, der sich an Anti-Assad-Demonstrationen beteiligt hat. Ich fragte ihn, wofür er demonstriert hätte, und er antwortete: „Für die Freiheit.“ Als ich ihn fragte, was er unter Freiheit verstünde, sagte er: „Freie Religionsausübung. Ich will das Recht haben, dass meine Frau einen Schleier trägt und sich mir unterordnet, so wie es unsere Religion verlangt.“

 

Dieser junge Mann gehörte zu einer gewaltbereiten Gruppierung der Opposition. Meine Freunde erzählten mir, dass er Steine und Brandsätze auf Polizisten geworfen hatte, wofür er auch ins Gefängnis kam. Nach seiner Freilassung durfte er allerdings auch studieren. Ansonsten habe ich, wie gesagt, kaum Kontakt zu Oppositionellen gehabt. Mein Eindruck war, dass die meisten Syrer sich vor allem wünschten, dass Assad Regierungschef bleibt.

 

Bei einem Ausflug an die Ausgrabungsstätte Ugarit gingen wir nach der Besichtigung in ein Ausflugslokal. Früher war es oft überfüllt, doch nun war es menschenleer, bis auf zwei Ehepaare, die sich bald zu uns gesellten. Bei dem einen Paar war er Christ und sie Muslima – perfekt geschminkt mit Hijab. Bei dem anderen Paar war es genau umgekehrt. Aber auf dem Tisch standen Whisky und Cola, natürlich auch reichlich zu essen und die allgegenwärtigen Shishas.

 

In unserem langen Gespräch sagten sie zu mir: „Marco, wenn diese sogenannten moderaten Rebellen hier die Oberhand hätten, dann wäre das, was wir jetzt hier haben, überhaupt nicht möglich! Wir könnten hier nicht so zusammen sitzen und uns frei unterhalten und uns kennen lernen. Unsere Ehen wären nicht einmal gültig, und wir müssten unsere Heimat verlassen. Das, was wir hier heute zusammen erleben können, das geht nur, weil wir diese Regierung und Bashar haben!”

 

KM: Das klingt allmählich so, als wäre die gesamte westliche Darstellung über Syrien und die Regierung von Bashar al Assad nicht nur tendenziös, sondern einfach gelogen.

 

So ist es ja auch. Angefangen mit der Behauptung „Alawit unterdrückt die Sunniten!“ Die Mehrheit seiner Partei, der Baath Partei, stellen über 75 % Sunniten und die haben Bashar zu ihrem Parteivorsitzenden gewählt. Im syrischen Parlament sitzen 183 sunnitische Abgeordnete und 67 alawitische. Zudem ist Syrien das einzige arabische Land, das eine Frau als Parlamentspräsidentin hat, und auch diese ist Sunnitin! Also, wie meine Freunde mir in Syrien vehement erklärt haben, die Geschichte vom brutalen Allein-Herrscher ist Quatsch.

 

Ein anderes Beispiel ist der Amnesty International Bericht vom 7.2.2017 über die Justizvollzugsanstalt Sednaya (ca 30 km nördlich von Damaskus). Dieser Bericht kam völlig unmotiviert daher. Die Berichterstattung über Syrien war ja seit der Befreiung Aleppos zu Weihnachten recht ruhig geworden.

 

AI veröffentlichte Zahlen über Tausende von Hinrichtungen im Militärgefängnis von Sednaya, das gerade einmal für maximal 1.000 Personen ausgelegt ist. Dummerweise war gerade eine belgische Delegation vor Ort und hat am selben Tag verlangt, dem Bericht nachzugehen. Der belgische Abgeordnete Philipp de Winter sprach nach der Besichtigung von einer Lüge durch AI, die Kommission befand die Zustände im Gefängnis sogar als recht komfortabel für ein Gefängnis. Auch der ehemalige britische Botschafter P. Ford, der diese Einrichtung genau kennt, nannte Amnesty International bereits einen Verein von Lügnern.

 

Meine Freunde beteuerten mir, dass Amnesty International nie in Syrien gewesen sei. Sie fragen mich: Warum sollen wir beweisen, dass ihre Lügen nicht stimmen? Sie sind doch in der Beweispflicht.

 

Die Behauptungen von AI wurden übrigens auch in der „Jungen Welt“ widerlegt [5], die ja als einzige deutsche Zeitung eine ständige Auslandskorrespondentin, Karin Leukefeld, vor Ort hat. Ansonsten gibt es unbhängige Journalisten wie Eva Bartlett, Vanessa Beeley, Jan Oberg, Tim Anderson, Jürgen Todenhöfer, deren Berichte alle den westlichen Darstellungen widersprechen. Was das Militärgefängnis Sednaya betrifft, das taucht auch in dem Buch des Abenteurers Billy Six auf, der selbst dort inhaftiert war. Er schildert zwar keine rosigen Zustände, aber die krassen Behauptungen von Amnesty International findet man dort auch nicht wieder.

 

KM: Das Problem der Berichterstattung über Syrien scheint also vor allem darin zu bestehen, dass westliche Journalisten gar nicht direkt vor Ort sind, wie etwa der Syrien-Korrespondent der „tages­schau“, der regelmäßig aus Kairo berichtet.

 

Die einzigen, die vor Ort sind, sind internationale Hilfsorganisationen, also das UNHCR und der Rote Halbmond, die ich selbst gesehen habe, da die Schwester von Jalal dort arbeitet. Sie kümmert sich sehr engagiert und rührend um die Kinder von Binnenflüchtlingen. Diese Hilfsorganisationen leisten große Arbeit, obwohl ihnen das wegen der Sanktionen enorm schwer gemacht wird.

 

KM: Unsere Medien stellen es ja so dar, dass die Hunderttausende von Flüchtlingen aus Syrien, vor Assad fliehen. Das scheinen deine Darstellungen zu widerlegen. Heißt das, sie alle fliehen vor den Djihadisten?

 

Ja, die islamistischen Söldnerbanden sind der Hauptgrund für die Massenflucht in Syrien. Aber man muss sich erst einmal die Zahlen genau anschauen. Laut einer Statistik des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vom 11.1.2017 wurden gerade einmal 266.250 Personen in 2016 als syrische Kriegsflüchtlinge in Deutschland registriert.

 

In Syrien selbst leben aber über 7 Millionen Binnenkriegsflüchtlinge, die ihre Dörfer und Städte auf der Flucht vor den islamistischen Söldnerbanden verlassen haben und in sichere Gebiete geflüchtet sind, die unter dem Schutz der syrischen Regierung stehen. Also, die sind nicht „vor“, sondern „zu Assad“ geflüchtet.

 

Hier sind sie zumeist bei Verwandten oder Freunden untergekommen. Ich habe einige in meinen Gastfamilien kennen lernen dürfen.

 

Ich habe aber auch eine Familie kennengelernt, wo der etwa zwanzigjährige Sohn Syrien verlassen hat, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Er hat bereits zwei Jahre in der Türkei gelebt, dort Wohnung und Arbeit gehabt und ist 2016 mit der Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen.

 

Seine Schwester ist in Syrien geblieben und dient dort freiwillig im Militär. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war sie auf Urlaub zu Hause und ich hörte, wie sie mit ihrem Bruder telefonierte, der sich gerade in Amsterdam aufhielt. Sein Vater lehnte es ab, mit ihm zu sprechen. Dieser junge Mann, den ich nie kennengelernt habe, ist ein gutes Beispiel für die syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Laut einer Statistik des BAMF sind 8 von 10 Flüchtlingen männlich und zwischen 15 und 35.

 

KM: Aber es ist doch auch nachvollziehbar, dass jemand, der die Chance hat, in Deutschland zu studieren, lieber diesen Weg geht, als sich in einem Krieg verheizen zu lassen.

 

In unserem friedlichen Deutschland sagt sich das so leicht. Wenn man die Hintergründe nicht kennt. Für die Familien der Geflüchteten ist das allerdings nicht so einfach. Viele halten sich mit einem Kleingewerbe über Wasser. Da ist man auf seinen guten Ruf angewiesen. Wenn jemand einen Sohn oder gar Tochter hat, die in der syrischen Armee gegen die Djihadisten kämpft, dann hat man auch gute Kundschaft. Eine Familie, deren Sohn oder gar mehrere Söhne sich durch Flucht dem Militärdienst entziehen, hat entsprechend weniger Ansehen und somit kaum oder gar keine Kunden. Das klingt hart, aber diese Menschen sind bedroht und so funktioniert die Logik des Krieges.

 

KM: Du hast eben erwähnt, dass du eine junge Frau kennengelernt hast, die sich freiwillig zum Militärdienst in der syrischen Armee gemeldet hat.

 

Nicht nur eine. Nach Angaben meiner Freunde gibt es derzeit 40.000 weibliche Soldaten, die gegen die Djihadisten kämpfen. Auf meiner Reise habe ich eine ganze Gruppe kennen gelernt. Sie kamen aus dem Weihnachtsurlaub und waren auf dem Weg zu ihrer Einheit in der syrischen Armee. Sehr mutige junge Frauen, für die es eine Selbstverständlichkeit ist, ihr Vaterland zu verteidigen und vom islamistischen Terror zu befreien. Wir sind gut zwei Stunden zusammen gefahren, und sie haben mir Fotos gezeigt und von ihrem Armeeleben erzählt. Es war für mich sehr bewegend und ich habe größte Hochachtung für diese Mädels!

 

Umso mehr kann man sich vorstellen, wie es einem Vater geht, dessen Tochter freiwillig zur Armee geht, während der Sohn sich ins sichere Ausland absetzt.

 


Begegnung mit syrischen Soldatinnen auf dem Busbahnhof von Tartus.

 

 

KM: Aber auch das kann doch sinnvoll sein. Ich habe gehört, dass viele syrische Flüchtlinge begonnen haben, in Deutschland zu studieren.

 

Ja, ich weiß. Sie werden von Deutschland ja regelrecht dazu aufgefordert. Meine Freunde haben mich darauf hingewiesen, dass über die deutschen Botschaften in Amman und Beirut Studenten angeworben werden. Frank Walter Steinmeier hat einmal behauptet, Syrien sei dabei, wegen des Krieges eine ganze Generation junger Akademiker zu verlieren. Deshalb wurde das Ausbildungsprogramm „Leader for Syria“ ins Leben gerufen, das Studienplätze in Deutschland an Syrer vergibt.

 

Aber Steinmeiers Behauptung hat nichts mit der Realität zu tun. Keine einzige Uni wurde in Syrien geschlossen, der Betrieb läuft ganz normal weiter und Jahr für Jahr werden Bachelor und Master Abschlüsse gefeiert. Der Großteil meiner Freunde studiert an der zweitgrößten Uni des Landes in Latakia, der Tishreen Universität.

 

KM: Du meinst also, es ist eher eine Art Braindrain, ausgerechnet junge Akademiker nach Deutschland zu holen?

 

Wenn Syrien gerade eine Generation junger Akademiker verliert, dann sind es die, die auf diese Weise abgeworben werden. So sehen meine Freunde das und ich auch. Zumindest so lange sie nicht zurückkommen.

 

KM: Kommen wir noch einmal zurück zum Kriegsgeschehen. Was haben die Menschen, die du kennen gelernt hast, über den Militäreinsatz von Russland gesagt?

 

Also ich habe nur Positives gehört. Sie sind offensichtlich sehr froh darüber, dass Russland ihnen zur Hilfe gekommen ist. Wobei die syrische Armee ja auch schon vom Iran, China, der palästinensischen Hisbolla und der kurdischen YPG unterstützt wird. Jedoch der Einsatz Russlands hat eine Wende in Syrien herbeigeführt. Der Vormarsch der Djihadisten konnte endgültig gestoppt werden.

 

Es ist ja nicht so, dass die russische Armee ständig und alles bombardiert, wie es hier in hiesigen Medien immer gerne dargestellt wird. Ganz im Gegenteil, sie haben überall mobile Krankenhäuser und Feldlazarette aufgebaut und damit nicht nur die Versorgung der Soldaten, sondern vor allem die Versorgung der Bevölkerung, gerade in den umkämpften Gebieten, erheblich verbessert. Außerdem liefert Russland, gemeinsam mit anderen Staaten, wie China, Iran u.a. regelmäßig Hilfsgüter nach Syrien. Z.B. gibt es jetzt in Syrien eine bestimmte Sorte Knabberzeug aus Russland oder auch Zigaretten. In allen Bars etc. haben wir diese russischen Produkte bekommen.

 

KM: Du warst gerade in Syrien, als die syrische und russische Armee Aleppo-Ost zurück erobert haben. In unseren Medien wurde von einer Hölle auf Erden gesprochen. Was hast du davon mitbekommen?

 

Aleppo wurde in meinen Augen nicht erobert, sondern von den islamistischen Terrorbanden befreit! Ich habe ja viele verschiedene Familien besucht, da waren auch einige dabei, die Verwandte aus Aleppo-Ost aufgenommen haben. Sobald es Strom gab, lief dort der Fernseher. Die Leute verfolgten gespannt jede Nachricht.

 

Alle hofften, die Regierungstruppen und Russland würden die sogenannten Rebellen besiegen. Dabei muss man aber auch betonen, dass der Ostteil Aleppos, der von den Islamisten besetzt war, gerade einmal 15 Prozent der Gesamtfläche Aleppos ausmacht. Die westliche Berichterstattung über die totale Zerstörung Aleppos ist maßlos übertrieben.

 

Als im Fernsehen über die völlige Befreiung Aleppos berichtet wurde, habe ich miterlebt, wie Bewohner Aleppos, die nach Latakia geflüchtet waren, spontan aufsprangen um ihre Taschen zu packen. Sie freuten sich riesig und wollten so schnell wie möglich in ihre Stadt. Sie wollten wissen, was aus ihrem Haus geworden ist, sie wollten Weihnachten in Aleppo feiern. An den Weihnachtsfeiertagen haben sie uns dann Fotos und Videos geschickt, um uns die Freudenfeiern auf Aleppos Straßen zu zeigen. Sie waren wirklich sehr glücklich. Denn es war seit der Besetzung durch die Islamisten das erste Weihnachtsfest seit fünf Jahren in Aleppo-Ost!

 

KM: Das klingt ja fast so, als wäre die Tragödie in Syrien gar nicht so schlimm. Die Djihadisten haben nur einen Teil der Provinzen eingenommen und in den Regierungsgebieten lebt man friedlich und unbehelligt?

 

Das ist leider nicht so. Die Not in Syrien ist groß! Aber nicht deshalb, weil Bashar ein Schlächter ist und seine eigene Bevölkerung massakriert, was einfach nicht stimmt. Die Not in Syrien ist vor allem durch die Sanktionen des Westens verursacht, die fast das gesamte wirtschaftliche Leben in Syrien zum Erliegen gebracht haben. Das ist eine echte Katastrophe für Syrien, über die meines Wissens nicht eine einzige Nachrichtensendung umfassend und vor allem fair berichtet hat.

 

KM: Wie sehen diese Sanktionen denn genau aus? Wie hast du die Auswirkungen vor Ort erlebt?

 

Es ist der totale Boykott! Syrien kann nichts in die EU oder USA exportieren und absolut nichts von dort importieren. Nur ein paar Beispiele: Der internationale Zahlungsverkehr ist gesperrt, ich kann also meinen Freunden in Syrien nicht einmal etwas Geld überweisen, damit es ihnen etwas besser geht, ich darf es nicht. Davon sind natürlich alle betroffen, auch gerade Hilfsorganisationen wie das UNHCR oder der Rote Halbmond.

 

Alle Hilfsleistungen laufen nur noch über Moskau, Teheran und Beirut. Das ist natürlich mit erheblichen Problemen verbunden. Ein krasses Beispiel: Die Djihadisten haben etliche Wasserwerke, Stromkraftwerke und Leitungen zerstört. Um diese zu reparieren, werden Ersatzteile benötigt, die Syrien einkaufen müsste. Dürfen sie aber nicht. Das schadet Syrien, aber auch den Anbietern in Europa entgehen große Aufträge. Es ist absurd.

 

Ein anderes Beispiel: Syrien war der größte Weizenlieferant Italiens, das seine Nudeln aus syrischem Weizen hergestellt hat. Die Exporteinbußen kann man sich in etwa vorstellen. Mich als Schneider trifft der Boykott syrischer Baumwolle. Es ist die feinste Baumwolle der Welt, aus der besonders edle Musselin-Stoffe hergestellt wurden. Die Haute Couture Häuser des Westens waren große Abnehmer und müssen sich nun mit einer qualitativ minderwertigeren Baumwolle aus Ägypten begnügen.

 

Durch die Sanktionen ist die nationale Wirtschaft Syriens in den Kriegsjahren derart geschrumpft, dass das Pro-Kopf- Einkommen der Bevölkerung von ca. 500 Euro im Monat auf ca. 80–100 Euro im Monat gesunken ist.

 

Alle meine Freunde und Bekannten in Syrien sind mehr oder weniger arm, obwohl alle von ihnen arbeiten, aber von ihrem Einkommen können sie kaum leben. Ich habe als Gastgeschenke meistens Kaffee, Tee und vor allem Rosinen mitgebracht. Ein Kilo Rosinen kostet dort auf dem Souk ca. 6 Euro, für einen Syrer ein enorm hoher Preis. Doch Rosinen gehören zur syrischen Küche wie bei uns Pfeffer und Salz, deshalb waren sie immer ein gutes Geschenk.

 

KM: Sanktionen sind ja ein extrem frag­würdiges Mittel in unseren heutigen politischen Konflikten. Westliche Länder geben vor, Diktatoren damit zu bestrafen, üben aber in Wirklichkeit Druck auf die Bevölkerung aus, in der Hoffnung, dass diese gegen den vermeintlichen „Diktator“ rebellieren.

 

Ganz genau. Im Grunde genommen ist das indirekte Kriegsführung. Aber in Syrien klappt das eben nicht. Die Bevölkerung steht zu ihrer Regierung und ihrem Präsidenten und daran wird der Westen trotz all seiner Lügen und Sanktionen nichts ändern können. Und zum Glück bekommt Syrien ja viel Hilfe. Neben den Hilfsorganisationen, die ich bereits genannt habe, ist auch Bernd Duschner dort unterwegs, mit seinem 1999 gegründeten Verein „Freundschaft mit Valjevo“, der sich jetzt auch für Hilfsbedürftige in Syrien engagiert. Er ging sogar so weit, Angela Merkel eine Kriminelle zu nennen.

 

KM: Ein harter Vorwurf.

 

„Aber er stimmt. Während sich Angela Merkel für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge als große Humanistin feiern lässt, ist sie eine der mächtigsten Befürworter der Syrien-Sanktionen. Die Auswirkungen der Sanktionen stellen eine Bedrohung für Leib und Leben der syrischen Bevölkerung dar.

 

Wie gesagt, der internationale Geldverkehr (Geldautomaten, Banküberweisungen) ist völlig blockiert, und so ist es den Hilfsorganisationen kaum möglich, Hilfsgüter vor Ort zu kaufen, was ja auch gut für die syrische Wirtschaft wäre. Die meisten Hilfsgüter können nur von außen nach Syrien gebracht werden, oft mit einem absurd hohen Transportaufwand, denn der Flugverkehr liegt ja lahm. Außerdem ist vieles, wie z.B. Medikamente, in Syrien aufgrund des Boykotts nicht vorhanden. Das sind lebensgefährliche Versorgungslücken.

 

Auch Telefonieren kann zum Problem werden, denn alle führenden (westlichen) Mobilfunknetze sind für Syrien abgeschaltet und nicht verfügbar. Und hier heißt es dann, Assad würde sich hermetisch abriegeln. Wenigstens funktionieren Internet und W-Lan in Syrien hervorragend, das war dann auch meine einzige Verbindung nach Deutschland.

 

Ein anderes und großes Problem in Syrien ist die Stromversorgung. Es gibt nur noch ein einziges intaktes Stromkraftwerk in Banias. Das ist natürlich viel zu wenig und so versucht man die Stromversorgung stundenweise und möglichst gleichmäßig auf die Region zu verteilen. Das heißt, ein Haushalt hat nur zu einer begrenzten Zeit am Tag Strom. Ich habe noch nie so gefroren wie in Syrien. Wenn ich das nächste Mal hinfahre, will ich Solarbatterien mitbringen

 

KM: Es wird also für dich ein nächstes Mal geben?

 

Ja, natürlich und hoffentlich mehr als das. Ich möchte gerne dort leben. Mein Plan ist es, in Syrien ein Ausbildungszentrum für Schneider/innen zu gründen, das den Absolventen notwendiges fachtheoretisches Wissen und Fachpraxis nach dualen Ausbildungsstandards vermittelt und ihnen somit einen anerkannten Berufsabschluss ermöglicht. Den man auf nationalen und besonders auf dem internationalen Markt benötigt.

 

Ich hoffe, dass ich von syrischer Seite alle dazu nötigen Genehmigungen erhalte. Syrien hat tolle Schneider, aber sie haben keine Möglichkeiten, einen international anerkannten Abschluss zu machen. Das könnte ich mit meinem Ausbildungszentrum ändern. Ich habe mich dazu in Latakia mit Vertretern der Latakia – Fashion – Week getroffen und Gespräche geführt.

 

KM: Noch bist du ja hier und seit deiner Rückkehr politisch auch ziemlich aktiv. Du hast deine Eindrücke z.B. auf Facebook gepostet und am 12. Januar einen ersten Bild-Vortrag in Hamburg gemacht. Wie waren die Reaktionen?

 

Seitdem habe ich bisher sechs Vorträge gehalten und die Reaktionen waren recht positiv, wenn auch schwierig. Die meisten Leute sind sehr neugierig und sehr interessiert. Natürlich merke ich an ihren Fragen immer, was sie für ein vorgefertigtes Bild über Syrien haben und dass das, was ich ihnen erzähle, dieses bisherige Syrien-Bild völlig auf den Kopf stellt.

 

Bei meinem ersten Vortrag war eine Lehrerin dabei, die mich bat, diesen Vortrag auch an ihrer Schule zu halten. Inzwischen habe ich schon 12 solcher Anfragen, vor allem von Hamburger Schulen mit hohem Migrationsanteil. Einige Schul-Vorträge habe ich auch schon gehalten. Natürlich begegnet mir da auch viel Skepsis. Zum Glück habe ich bei meinem ersten Vortrag einen Syrer kennen gelernt, der hier lebt und der alle meine Erfahrungen und Erlebnisse zu 95 Prozent bestätigen kann. Er ist immer dabei und spätestens, wenn er mir beipflichtet, glauben mir die Schüler und auch die Lehrer. Aber ich merke schon, wie bei vielen die Fassungslosigkeit wächst. Sie können sich einfach nicht erklären, warum sie von hiesigen Medien so offensichtlich belogen und hinters Licht geführt werden.

 

KM: Hast du eine Erklärung dafür?

 

Es scheint die Aufgabe unserer Medien zu sein, die wahren Gründe zu verschleiern. Es geht um Gas und Öl, also um geostrategische Machtverhältnisse und ganz bestimmt nicht um Demokratie. Das wissen auch meine Freunde in Syrien. Der Leiter des Zentrums für strategische Forschungen in Damaskus, Dr. Imad Fausi Shuajbi sagte 2012:

 

„Der Reichtum Syriens ist zu seinem Fluch geworden!“

 

Dieses Zitat, so hatte ich den Eindruck, scheint in Syrien jeder zu kennen. Schließlich weiß hier auch jeder, dass es bei der völkerrechtswidrigen Einnahme der Golan-Höhen durch Israel im Süden Syriens nur um das Öl geht, das man diesem Land raubt.

 

In den syrischen Medien wird ja ganz offen dargestellt, was hier im Westen immer verschwiegen wird. In Syrien gibt es keinen Zweifel darüber, dass der Auslöser für die Unterstützung der Djijadisten durch den Westen der Streit um ein Pipeline-Projekt war. Kurz gesagt, es gab zwei Projekte, ein US-amerikanisches und ein russisches. Beide sollten durch Syrien laufen und Syrien musste sich entscheiden.

 

Syrien hat sich für die Kooperation mit Russland entschieden und kurz darauf war Assad plötzlich der „Schlächter.“ Westliche Journalisten würden so etwas vermutlich als syrische Propaganda einstufen.

 

KM: Gut möglich. Allerdings scheint der Propaganda-Begriff momentan neue Entwicklungen zu nehmen. Als Propaganda wird ja vor allem immer das bezeichnet, was nicht ins eigene Weltbild passt.

 

Deshalb ist der Rat meines Vaters, sich immer beide Seiten anzuschauen, umso wichtiger geworden. In den syrischen Medien wird auch davon gesprochen, dass sich inzwischen die Türkei dem russisch-syrischen Pipeline-Projekt angeschlossen hat. Damit scheint aber das Projekt der USA endgültig vom Tisch zu sein, und es wäre zu hoffen, dass dementsprechend auch das Engagement der USA in Syrien erlahmen wird.

 

KM: Also Hoffnung für Syrien?

 

Schwer zu sagen. Die USA werden momentan im Norden Syriens aktiv, jedoch ohne sich mit der Syrischen Regierung abzustimmen.

 

Die Erfolge der Syrischen Armee gegen die Djihadisten setzen sich fort. Momentan macht Syrien die Einreise ins Land noch so schwer wie möglich, um das Einsickern von Djihadisten aus dem Ausland zu verhindern. Was auch verständlich ist, mir die Sache allerdings ziemlich schwer macht. Ich hoffe sehr, dass dieser sinnlose Krieg dieses Jahr zu Ende sein wird, es war mein Silvesterwunsch mit meinen Freunden auf dem Hausdach um Mitternacht.

 

Ich hoffe sehr, dass ich bald einen positiven Bescheid erhalte und vor allem die furchtbaren westlichen Sanktionen auslaufen und die Menschen in Syrien endlich wieder aufatmen können. Syrien hätte dann eine wirkliche tolle Zukunft und das Schönste … ich könnte meinen Beitrag dazu leisten.

 

KM: Ich danke Dir für das Gespräch.

 

 

 

 

 

Quellen:

[1] Wikipedia, „Chronik des Bürgerkriegs in Syrien 2011“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Chronik_des_Bürgerkriegs_in_Syrien_2011>

[2] Spiegel Online, „Tausende Menschen demonstrieren gegen Assad“, am 15.04.2011, <http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-tausende-menschen-demonstrieren-gegen-assad-a-757387.html>

[3] TAZ, „Erneut hunderte von Festnahmen“, am 25.07.2011, <http://www.taz.de/!5115630/>

[4] American Herald Tribune, Steven Sahiounie, „The day before Deraa: How the war broke out in Syria“, am 10.08.2016, <https://ahtribune.com/world/north-africa-south-west-asia/syria-crisis/1135-day-before-deraa.html>

[5] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>

[6] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>

[7] Junge Welt, Joachim Guilliard, „Greuelgeschichte über Syrien“, am 23.02.2017, <https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/305920.greuelgeschichte-über-syrien.html?sstr=syrien>