Der verkaufte Patient

Von Published On: 16. Oktober 2018Kategorien: Gesundheit & Medizin

Dieser Text wurde zuerst am 07.09.2018 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/der-verkaufte-patient> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

Titelbild Kopie_low

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland gehört neuerdings einem Dienstleister der Pharmaindustrie. Davor gehörte sie einem Dienstleister der Krankenkassen. Ursprünglich gehörte sie einmal der Zivilgesellschaft und war im besten Sinne „gemeinnützig“ – also nicht nur auf dem Papier. Nach der Privatisierung wurde sie ein Spielball von Kapitalinteressen. Kann und soll es so weitergehen?

Man stelle sich Folgendes vor: Eine Firma vermarktet und vertreibt im Auftrag der Pharmaindustrie ein Präparat, etwa einen Blutverdünner. Durch dessen Einnahme trägt ein Patient schwerwiegende gesundheitliche Schäden davon. Er wendet sich an eine Beratungsstelle für Patienten, in der Absicht, den Hersteller juristisch zur Verantwortung zu ziehen und eine Kompensation zu erwirken. Was der Betroffene nicht ahnt: Die Hilfseinrichtung gehört zu genau demselben Unternehmen, das dafür sorgen soll, dass sich das fragliche Medikament gut und teuer verkauft. Frage: Welches Anliegen hat in diesem Fall wohl mehr Gewicht? Das des Geschädigten oder dasjenige des Arzneimittelproduzenten?

Das beschriebene Szenario ist keine hypothetische Spinnerei, sondern ab sofort bittere Realität. Wie die linke Tageszeitung junge Welt (jW) Ende August unter dem Titel „Verraten und verkauft“ exklusiv berichtete, hat die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) klammheimlich den Besitzer gewechselt und steht künftig unter Kontrolle des Pharmadienstleisters Careforce [1].

Faktisch arbeite die Firma mit Sitz in Köln Arzneimittelherstellern zu, „damit die ihre Pillen und Salben besser unter die Leute bringen“, schrieb das Blatt. Im Hintergrund agiere dazu ein Private-Equity-Fonds namens Findos Investor, „der mit dem Geld deutscher Mittelständler auf Renditejagd geht“.

Heuschrecke übernimmt

Der Urheber des jW-Artikels ist auch Autor dieser Zeilen. Hinter ihm liegen wochenlange Recherchen, angefangen mit einem Tipp zweier Insider vor sieben Wochen. Nach ihren Angaben stünde die Sanvartis GmbH, ein auf Gesundheitsthemen spezialisierter Callcenter-Betreiber mit Sitz in Duisburg, kurz vor der Veräußerung an die Kölner Careforce GmbH. Brisant war der Hinweis deshalb, weil Sanvartis seit rund zweieinhalb Jahren die UPD im Portfolio führt. Darin mutet die 100-prozentige Tochter wie ein Fremdkörper an: Die „gemeinnützige“ UPD unterstützt in gesetzlichem Auftrag hilfesuchende Privat- und Kassenpatienten bei Konflikten mit Ärzten, Krankenversicherungen und Kliniken.
Was, mag man fragen, hat eine Anlaufstelle für Patienten in den Händen eines kommerziellen Unternehmens zu suchen, das sein Geld mit Diensten für Krankenversicherungen und Pharmafirmen macht?

Ausgerechnet die gesetzlichen Krankenkassen zählen zu den Hauptkunden von Sanvartis – und Ärger mit den Kassen ist eines der Hauptmotive, weshalb sich Menschen an die UPD wenden. Noch merkwürdiger erscheint die Konstellation im Lichte des dahinterstehenden Finanzierungsmodells. Die UPD wird zum größten Teil durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mit Millionensummen gefördert. Woher nimmt die GKV das Vertrauen, dass dieses Geld in den Händen eines gewinnorientierten Unternehmens gut aufgehoben ist?

Wie sich noch zeigen wird, spricht vieles dafür, dass die Mittel bei Sanvartis nicht gut aufgehoben sind und eine – den selbsterklärten Ansprüchen nach – „unabhängige“ UPD in einem Umfeld komplett fehl am Platz ist, das die Generierung von Profiten zur Bestimmung hat. Besser wird die Sache ganz sicher nicht dadurch, dass die UPD von nun an in einem Firmenverbund aufgeht, der der pharmazeutischen Industrie noch ein gutes Stück näher steht. Über dem Verbund agiert überdies als Mitgesellschafter ein Finanzinvestor – ein Vertreter jener Zunft, die seit einem Debattenbeitrag von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering gemeinhin als „Heuschrecken“ verrufen ist.

Sehr bezeichnend ist, wie der Vorgang vonstatten ging. Handelsregistereintragungen der zurückliegenden Wochen und Monate belegen eine Vielzahl an Bewegungen rund um die beteiligten Firmen. Dabei wurden mehrere gleich- oder ähnlich klingende Gesellschaften neu gegründet – sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. In der Folge wechselten die jeweiligen Gesellschafteranteile wie wild von einem zum anderen Akteur, mit dem Ergebnis einer kompletten Neuaufstellung von Sanvartis. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Ende Juni in München angemeldete Careforce Sanvartis Holding GmbH, so etwas wie der nominelle Beweis dafür, wer hier mit wem anbandelt.

 

Verwirrspiel

Obwohl spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, wohin die Reise geht, spielten die Beteiligten weiter Verstecken. Wiederholten Anfragen bei Sanvartis und Careforce begegnete man mit Erwiderungen, die zunächst wie ein Dementi klangen, sich später aber als Spitzfindigkeiten herausstellten. So erklärte eine Sanvartis-Sprecherin am 6. August: „Die Aussage, Sanvartis stehe kurz vor der Übernahme durch die Careforce GmbH, ist falsch.“ Am 22. August legte sie nach: „Inhaber der Sanvartis ist auch zukünftig die Sanvartis Group GmbH allerdings durch Übertragung zukünftig mit Sitz in Deutschland“, um dann noch einmal zu bekräftigten, dass daraus keine Kontrolle durch Careforce erwachsen würde. Genau genommen stimmt das sogar, denn tatsächlich stehen in der neuen Gesellschafterstruktur die Sanvartis Group GmbH mit ihren sechs Töchtern – eine davon die UPD – und die Careforce GmbH als Schwesterfirmen nebeneinander.

Entscheidend ist aber, wer über den Töchtern als Gesellschafter der übergeordneten Careforce Sanvartis Holding GmbH thront. Das sind die Sanvartis-Manager Manuel Ebner, Jan Hermann und Andreas Bleiziffer, die Careforce-Gründer Marko-René und Andrea Scholl sowie der Mittelstandsfonds Findos Investor, der nach Eigendarstellung an mehr als einem Dutzend weiterer Firmen Beteiligungen hält. Nicht mehr vertreten ist dagegen die Vendus Gruppe, die bisherige Konzernmutter des Sanvartis-Verbunds. Zudem taucht mit der Neukonstruktion quasi eine Attrappe der einst schweizerischen Sanvartis Group GmbH – die bis dahin den sechs Sanvartis-Töchtern vorstand – in deutschen Landen auf, unter gleichem Namen zwar, aber als komplett neues Unternehmen mit neuem Eigner.

„Diese Namensgleichheit sollte wohl den Verkauf verschleiern, Careforce ist neuer Eigner“, mutmaßte in der Vorwoche der Geschäftsführer des Verbunds unabhängige Patientenberatung (VuP), Günter Hölling. Über ein „Rumgeschiebe und Tricksen“ klagte man auch beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Schon lange davor hatten die beiden Informanten des Autors ein „Täuschungsmanöver“ mit dem Ziel ausgemacht, die Konkurrenz hinters Licht zu führen. Nach ihrer Darstellung hatten sogar bereits die früheren Strukturen einen doppelten Boden. So wäre die „alte“ eidgenössische Sanvartis Group GmbH nur „eine Art Hülle“ für die deutsche Sanvartis GmbH in Duisburg gewesen, soll heißen: ein Steuerschlupfloch.

Bei diesem Verwirrspiel um die Transaktion tappte neben den Wettbewerbern auch die Öffentlichkeit im Dunkeln. Na und, mag einer einwenden: Jeden Tag wechseln in der Wirtschaft hundertfach die Besitzverhältnisse. Was hat das den Bürger anzugehen? In diesem Fall liegen die Dinge jedoch anders: Vertragspartner der UPD ist der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die kostenfreien Beratungsangebote sind seit 2011 Teil der Regelversorgung und die Leistungen werden aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten finanziert. Außerdem sitzt der Patientenbeauftragte der Bundesregierung dem wissenschaftlichen Beirat der UPD vor, der darüber zu wachen hat, dass die Beratungspraxis den Vorgaben von Unabhängigkeit und Neutralität gegenüber Partikularinteressen – etwa auch einer Einflussnahme durch Sanvartis – genügt. Schließlich ist es der ausdrücklich „gemeinnützige“ Zweck der Einrichtung, Geschädigte, Bedrängte und Übervorteilte gegen politische, Industrie- und Verwaltungsinteressen zu verteidigen.

Kein öffentliches Interesse?

Das alles bedeutet: In der UPD sind die Sphären Staat, Gemeinwesen und Politik nicht außen vor, sie sitzen quasi mit im Boot, gehören zur festen Besatzung – und natürlich berührt es das öffentliche Interesse, wenn ein neuer Kapitän das Steuer übernimmt. Die Beteiligten sehen das anders. Der GKV-Spitzenverband ließ noch am 28. August auf Anfrage durch eine Sprecherin ausrichten: „Da nach unserem jetzigen – noch nicht abschließenden – Informationsstand keine Hinweise darauf vorliegen, dass Veränderungen in der Gesellschafterstruktur der Holding Auswirkungen auf die Beratungsangebote der UPD gGmbH haben können, können wir den Bedarf an einer allgemeinen öffentlichen Information nicht erkennen.“ Tatsächlich gab es bis dato, 6. September, keine offizielle Verlautbarung zu dem Vorgang, weder durch die GKV noch durch die Bundesregierung. Dabei soll die jW-Veröffentlichung allerhand Wirbel im politischen Betrieb ausgelöst haben – durch alle Fraktionen bis hoch zum Gesundheitsminister.

 


Foto: unbekannt (pxhere / CC0)

 

Auch haben sich inzwischen mehrere Verbände [2] zu Wort gemeldet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband äußerte sich „alarmiert“ und befand, „damit erweist man den Patientinnen und Patienten einen Bärendienst“. VuP-Vorstand Günter Hölling erklärte, „die UPD ist käuflich, unabhängige Patientenberatung wird zur Farce, private Investoren bereichern sich an Fördergeldern für die Patientenberatung und die Gemeinnützigkeit der UPD steht in Frage“. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (BAGP) bemerkte zum Einstieg von Careforce, „deren Motiv, die UPD zu übernehmen, ist vermutlich rein monetär motiviert. Wie kann das aber sein, dass Versichertengelder ohne jede Gegenleistung Gewinne generieren?“

„Patienten dürfen nicht im Unklaren darüber gelassen werden, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie sich an die UPD wenden“, gab die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) zu bedenken und weiter: „Dies ist nicht nur ein Gebot der Transparenz, auch im Umgang mit öffentlichen Geldern, sondern auch die Voraussetzung dafür, dass eine unabhängige Patientenberatung überhaupt funktionieren kann.“ Nicht zuletzt monierte der Sozialverband VdK Deutschland [3] „fehlende Transparenz“ und die Nähe der neuen Eigner zur pharmazeutischen Industrie. „Das lässt sich nicht mit dem Konzept einer unabhängigen und neutralen Beratungsstelle vereinbaren. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier zu intervenieren, damit es nicht so weit kommt.“

Dafür könnte es schon zu spät sein. Wie Sanvartis am 29. August verbreitete, „erfolgte die Unterschrift unter den Verträgen bereits Anfang August“. Allerdings habe „sich die formelle Abwicklung länger hingezogen“. Erhellend ist die Stellungnahme mit Blick auf die Rolle der GKV. Der Spitzenverband „sei informiert worden“, heißt es und anders als es jW dargestellt habe, sei die Transaktion „keinesfalls klammheimlich durchgeführt“ worden. Dem sei hier widersprochen: Auf wiederholte Anfragen seit Anfang August – bei der GKV wie beim Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Ralf Brauksiepe (CDU), – wurde jedes Mal erwidert, über „keinerlei Informationen“ oder „nicht (…) gesicherte Erkenntnisse“ zu dem Sachverhalt zu verfügen.

Ahnungslose Mitwisser

Rückblickend ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die Sanvartis-Mutter Vendus hat die GKV nachweislich am 6. August in einem Brief an die für die UPD zuständigen Funktionäre Gerd Kukla und Heike Wöllenstein über den Gesellschafterwechsel unterrichtet. Das räumt man mittlerweile auch beim Spitzenverband ein, wobei deren Sprecherin sogar noch weiter zurückgeht. Nach ihren Angaben setzte die Klärung der Hintergründe bereits „Ende Juli“ ein, seit den ersten Hinweisen aus einer schriftlichen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen an die Bundesregierung. Die Antwort darauf erfolgte am 2. August durch Staatssekretärin Sabine Weiss. Obwohl seit „Ende Juli“ schon mehrere Tage vergangen waren, beschied sie: „Der Bundesregierung sind solche Pläne nicht bekannt.“

War die Regierung zu dem Zeitpunkt also doch nicht unterrichtet? Während eines Telefonats mit dem Referenten des Patientenbeauftragten am 5. August hinterließ dieser durchaus den Eindruck, als wäre man von den Entwicklungen überrascht worden und würde die Dinge mit einigem Unmut verfolgen. Später soll sogar Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wegen des jW-Beitrags Aufklärung verlangt haben. Seitens der GKV-Pressestelle hieß es dagegen, man habe mit Brauksiepes Büro schon „seit Ende Juli“ im Austausch gestanden. Offenbar existieren in der Frage, wer wann wie viel wusste, unterschiedliche Wahrnehmungen. Es ließe sich auch argwöhnen: Irgendwer lügt.

Weil der Fall intern hohe Wellen schlägt, dringt mittlerweile jede Vertraulichkeit nach draußen, darunter ein Schreiben der GKV-Abteilungsleiterin für Gesundheit, Monika Kücking, an Brauksiepe vom 30. August.

Hierin werden die Abläufe der zurückliegenden Wochen einschließlich des Schriftwechsels mit der Vendus Gruppe sehr detailliert nachgezeichnet und bewertet, so als sollte damit endlich auch der Patientenbeauftragte auf den Stand der Dinge gebracht werden. Wozu der Aufwand, wenn die Bundesregierung von Anbeginn auf dem Laufenden war? Abschließend äußert Kücking noch die Hoffnung, „mit ihren Ausführungen zur Transparenz beigetragen und verdeutlicht zu haben, dass der erweckte Eindruck, der GKV-Spitzenverband befasse sich nicht mit den Veränderungen (…) und möglichen Auswirkungen auf die UPD, völlig gegenstandslos ist“.

Eigentlich wurde in der jW-Berichterstattung jedoch ein anderer Verdacht geäußert: Dass die GKV ihr Wissen über die Geschehnisse vielleicht für sich behalten hat, damit die „formelle Abwicklung“ der Transaktion ungestört und ohne öffentliche Diskussion über die Bühne gehen kann.

Eine ahnungslose Regierung und ahnungslose Medien wären einem solchen Unterfangen gewiss zuträglich gewesen, zumal die GKV-Führung schon einmal erleben musste, wie es anders und für sie schlechter laufen kann. Hatte doch gerade sie und mit ihr die große Koalition bei der vor zweieinhalb Jahren ins Werk gesetzten Privatisierung der Unabhängigen Patientenberatung über Wochen im Kreuzfeuer der Kritik gestanden.

Beherrscht und „unabhängig“

Rückblick: Von 2006 bis 2015 hatte sich die einst als reines Non-Profit-Projekt gestartete UPD in der Trägerschaft durch den Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sowie den Verbund unabhängige Patientenberatung (VuP) befunden. Zum Jahresanfang 2016 wurde sie dann nach europaweiter Ausschreibung an die Sanvartis GmbH übergeben, der sie als „Untergesellschaft“ gemäß den Vorgaben eines „Beherrschungsvertrags“ unterstellt ist. Nach dessen Wortlaut ist die UPD „verpflichtet, den Weisungen der Obergesellschaft zu folgen“ und jederzeit Einblick in ihre „Bücher und Schriften“ zu gewähren.

Allerdings hatten die Privatisierungspläne, die maßgeblich durch die GKV vorangetrieben worden sein sollen, einen heftigen öffentlichen Aufschrei provoziert. Noch ehe der Wechsel vollzogen war, wurde allenthalben laut davor gewarnt, dass die UPD ihre „Unabhängigkeit“ unter dem Dach eines Unternehmens verlieren werde, das sich im Besonderen als Auftragnehmer der Krankenkassen sowie der Pharmabranche betätigt. Die Verantwortlichen erkannten darin allerdings kein Problem und konterten die Einwände mit der Behauptung, die Eigenständigkeit der UPD wäre auch unter den veränderten Bedingungen gesichert. Garantieren solle das ein System laufender Auditierung und Evaluation. Außerdem stehe die Tätigkeit der UPD unter ständiger Begleitung des wissenschaftlichen Beirats unter Vorsitz des Patientenbeauftragten. Aber nicht einmal alle Mitglieder des Gremiums trauten seinerzeit der Neukonstruktion über den Weg. Mit Marie-Luise Dierks und Rolf Rosenbrock legten im September 2015 gleich zwei ihr Amt aus Protest nieder.

Zu den Kritikern der ersten Stunde gehört auch der ehemalige UPD-Bundesgeschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. Für ihn gingen schon mit der Sanvartis-Übernahme Widersprüche einher, „die sich auch durch die Institutionalisierung von Auditoren und den Einsatz wissenschaftlicher Beiräte nicht heilen lassen. Der Interessenkonflikt ist ein Faktum und Unabhängigkeit lässt sich nicht durch Kontrolle erzeugen.“ Im Gespräch mit dem Rubikon schilderte er die „alten Zeiten“: Die UPD sei in „eine durch und durch gemeinnützige“ Gesellschafterstruktur eingebunden gewesen. „Kommerzielle Interessen gab es keine, ebenso wenig Abhängigkeiten von finanziellen Zuwendungen durch Kostenträger oder Leistungserbringer des Gesundheitssystems, auch Interessenkonflikte durch Nebentätigkeiten der Berater waren ausgeschlossen“. Die jüngsten Ereignisse sieht Schmidt-Kaehler mit großer Sorge. Wer die UPD auf dem freien Markt feilbietet, „der muss auch damit rechnen, dass diese Gesellschaft irgendwann einmal weiterveräußert wird. Mit anderen Worten: Die UPD wird verkäuflich und die Gesellschafterstruktur lässt sich nicht mehr kontrollieren.“

Wer künftig nach den Akteuren hinter der UPD suche, lande mit wenigen Klicks bei einem Dienstleister der Pharmabranche. „Für den Aufbau der Vertrauensmarke UPD wäre das ein herber Rückschlag“, beklagte Schmidt-Kaehler. Das deckt sich mit der Sicht von Ex-Beiratsmitglied Rosenbrock, heute Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Unabhängigkeit der Beratung „muss stark bezweifelt“ werden, „fragwürdig“ wären überdies die Eignung und Gemeinnützigkeit der Careforce GmbH. Sein Schluss: „Eine wirkliche unabhängige Patientenberatung gehört nicht in die Hand der Gewinnwirtschaft, sondern unter die Regie der Zivilgesellschaft.“

Nur noch ein Callcenter

Man mag sich fragen: Wie verdient eigentlich Sanvartis mit dem Betrieb der „gemeinnützigen“ Patientenberatung Geld? Die UPD erhält nach dem Gesetz jährliche Zuwendungen durch die GKV von derzeit neun Millionen Euro. Dazu kommt noch ein – vergleichsweise unerheblicher – Beitrag durch die Private Krankenversicherung (PKV). Aus diesen Mitteln muss Sanvartis ihre diversen Beratungsdienstleistungen finanzieren, die für die Betroffenen durchweg gratis sind. Daraus folgt: Je geringer die Ausgaben für den Betrieb ausfallen, desto mehr bleibt von der Fördersumme als Gewinn hängen.

 


Foto: geralt (pixabay / CC0)

 

Wie in vielen anderen Fällen, in denen staatliche Leistungen in die Regie der Privatwirtschaft überführt wurden, ging auch die Neuaufstellung der UDP auf Kosten der Qualität. Das belegt eine Vielzahl an Medienberichten aus dem Vorjahr. Vor zehn Monaten schrieb zum Beispiel die Ärzte Zeitung, dass 2016 allein in Bremen die Zahl der Patientenkontakte zur UDP um 75 Prozent gegenüber dem Jahr 2014 zurückgegangen wäre. Das Ärzteblatt berichtete, dass in Stoßzeiten viele Anrufer bei einem „Überlaufteam“ landen würden, deren Mitarbeiter bei Sanvartis unter Vertrag stehen. Im März 2017 sollen dies allein 2.712 gewesen sein. Im Berliner Tagesspiegel klagte im August 2017 Kathrin Vogler von der Linksfraktion im Bundestag über einen Rückgang der Vor-Ort-Beratungen von 14 auf 3,7 Prozent. Außerdem wäre die Quote der Beratungen zu Patientenrechten und Behandlungsfehlern „drastisch eingebrochen“, während die Zahl der Beschwerden von 18 im Jahr 2015 auf 559 in 2016 zugelegt habe.

Das alles hat sich die Linken-Politikerin nicht ausgedacht, sondern es steht so im „Monitor Patientenberatung 2017“, in dem 155.000 Beratungen dokumentiert und ausgewertet sind. Der Bericht stellt zugleich eine Art Leistungsbilanz der UPD dar, weil er einen Vergleich der Kennzahlen der „alten“ UPD von 2015 mit denen der „neuen“ von 2016 erlaubt. Die Linke hatte dazu die Bundesregierung in einer Anfrage um eine Einordnung gebeten und die Antwort geriet erwartungsgemäß zu einer Lobeshymne. O-Ton: Die UPD habe seit 2016 „eine ausgesprochen positive Entwicklung durchlaufen“.

Einige in der Anfrage vorgebrachte Punkte bilden hingegen eine deutlich „negative Entwicklung“ ab: Demnach sei die Zahl der UPD-Beschäftigten trotz besserer Finanzausstattung gesunken. Die Zahl des akademisch geschulten Personals habe sich mehr als halbiert. Der Bereich der psychosozialen Beratung sei aus dem Leistungskatalog gestrichen worden. „Durch die von Union und SPD gebilligte Übernahme der UPD durch die Sanvartis GmbH wurde die Patientenberatung faktisch in ein Callcenter verwandelt, befand die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, gegenüber jW. Sylvia Gabelmann von der Linken-Bundestagsfraktion beanstandete: „Der Fall zeigt deutlich, dass die Privatisierung der UPD ein fataler Irrweg war und nicht dadurch besser wird, dass man den Fehler wiederholt.“

Software zum Mondpreis

Ex-UPD-Geschäftsführer Schmidt-Kaehler bedauert insbesondere die Einschränkungen zum Nachteil „vulnerabler“ Gruppen, etwa sozial Benachteiligter und Migranten. Diese hätten unter den früheren Bedingungen die Beratungsstellen vor Ort ohne bürokratische Hürden aufsuchen und Hilfe erbeten können. Das Angebot wäre deshalb so gut angenommen worden, weil der fragliche Personenkreis telefonische Kontakte erfahrungsgemäß scheue. Wie man heute mit diesen Menschen verfährt, wird daran ersichtlich, dass laut Linken-Anfrage die Zahl der muttersprachlichen Beratungen in türkischer, arabischer und russischer Sprache um 64 Prozent zurückgegangen ist. Merkwürdig erscheint das auch deshalb, weil die dafür vorgesehenen Fördermittel aus dem PKV-Topf um 60 Prozent aufgestockt worden waren.

 

Foto: geralt, Pixabay, Lizenz: CC0

 

Aufschluss gibt die 2015 novellierte „Leistungsbeschreibung“ der UPD. „Eine persönliche Beratung vor Ort, zum Beispiel für vulnerable Zielgruppen, für die die physische Präsenz der/des Beraterin/s besonders wichtig ist oder die zum Beispiel nur über ein mangelndes Sprachverständnis verfügen, soll nur nach vorheriger Erstberatung (siehe oben, zum Beispiel per Telefon) und nach Terminvereinbarung angeboten werden.“ Faktisch wirkt die Neuregelung dahingehend, potentiell Hilfsbedürftige von der Wahrnehmung von Beratungsangeboten abzuhalten. Bezeichnenderweise wird die „Leistungsbeschreibung“ durch die GKV vorgenommen, was bedeutet: Die Definitionsmacht darüber, was die UPD leisten soll und was nicht, liegt bei den Krankenkassen – bei dem Akteur also, der am häufigsten in Streitfälle mit Patienten verwickelt ist. Das hat mindestens ein Geschmäckle.

Richtig bitter schmeckt auch das, was noch an Vorwürfen im Raum steht. Wie dem Autor aus vertraulicher Quelle zugetragen wurde, sollen von den UPD-Fördergeldern pro Jahr allein zwei Millionen Euro für die Bezahlung von Lizenzen für eine Wissensmanagement-Software – wohlgemerkt aus Sanvartis-Bestand – fließen. Demnach überweise die „gemeinnützige“ UPD Sanvartis im Bewilligungszeitraum von sieben Jahren, in denen sie die UPD unterhält, allein 14 Millionen Euro dafür, dass die IT-Architektur läuft. Träfe dies zu, hätte sich Sanvartis mit der UPD quasi einen neuen Kunden ins Haus geholt, dem sie auf Kosten der Beitragszahler ein hauseigenes Produkt aufdrückt – ohne Ausschreibung und ohne jeden Akquiseaufwand. Das, so die Quelle, sei das „ganze Geschäftsmodell“, aus dem in Zukunft auch Careforce schöpfen werde.

Bis 2015 musste die UPD mit jährlich 6,4 Millionen Euro haushalten. Davon entfielen auf die GKV 5,8 Millionen Euro, auf die PKV knapp 400.000 Euro. Mit der Ausschreibung wurden die Mittel deutlich aufgestockt, die GKV steuert seither neun Millionen Euro bei, die PKV 630.000 Euro. Im Ganzen entspricht das einem Plus von 55 Prozent. Was mit dem vielen schönen neuen Geld angestellt wird, beschäftigt seit längerem auch die Opposition. Die Linksfraktion hatte in ihrer Anfrage an die Regierung diverse Ausgabenposten aufgeschlüsselt, die Fragen aufwerfen. So seien die Personalkosten im Jahr 2017 mit 3,5 Millionen Euro fast eine halbe Million Euro unter Plan geblieben, Budgetunterschreitungen habe es ferner im Bereich Qualität/Fortbildung gegeben. Die Kosten für „Projektleitung, -management und -verwaltung“ hätten sich dagegen mit 1,4 Millionen Euro um mehr als ein Drittel gegenüber den veranschlagten Mitteln erhöht.

Fall für den Staatsanwalt?

Schon diese Zahlen liefern Hinweise darauf, dass am Beratungsbetrieb zugunsten solcher Posten gespart worden sein könnte, die sich auf der Habenseite als versteckter Gewinn niederschlagen. Richtig lohnend erscheint das Geschäft indes erst durch den Dreh mit den Softwarelizenzen. Das hier womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugeht, ahnt man auch bei der Linkspartei: Ob die Regierung bestätigen könne, „dass für den Haushaltsplan 2017 statt geplanter 1,73 Millionen Euro nunmehr eine Summe von 1,826 Millionen Euro als Kosten für Hardware, Software, Datenbanken und Qualitätssicherungsinstrumente verausgabt werden, wobei 1,5 Millionen Euro als jährliche Kosten der UPD an die Muttergesellschaft Sanvartis GmbH gezahlt werden“, wollte sie wissen.

 


Foto: TPHeinz, Pixbay, Lizenz: CC0

 

Antwort der Regierung: Keine, weil dies die „nach Artikel 2 Absatz 1 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ berühre. Im Übrigen habe die Vergabekammer keine Anhaltspunkte dafür erkannt, dass „die von der BG (Sanvartis GmbH) für den Einkauf eines Informationsmanagementsystems oder auch sonstiger IT-Ausstattung angesetzten Preise oder Lizenzgebühren überhöht sind“. Wie wäre es damit? Laut Schmidt-Kaehler hat die „alte“ UPD für den gleichen Posten nur rund 50.000 Euro ausgegeben. Bittere Ironie: Schon in seiner Amtszeit als Geschäftsführer wären die Weichen für eine deutliche Aufbesserung des UPD-Etats gestellt worden – allerdings mit der Zielstellung, das Beratungsangebot auszubauen.

Die alarmierten Verbände rufen unisono nach Aufklärung. Es bestehe „zumindest der Anfangsverdacht eines Scheingeschäftes“, erklärte BAGP-Sprecher Gregor Bornes. „Die Frage ist, ob diese Kosten für Software und Lizenzen bereits im Angebot von Sanvartis in 2015 eingepreist waren und damit gebilligt wurden vom GKV-Spitzenverband und dem Bundesgesundheitsministerium.“ Die Vorgänge erforderten „eine umgehende öffentliche sowie parlamentarische Aufklärung, einer Kontrolle durch Aufsichtsorgane, Finanzamt und Bundesrechnungshof“, bekräftigte der Paritätische Wohlfahrtsverband. „Von den Verantwortlichen fordern wir Transparenz und Aufklärung über die Übernahme- und Organisationsprozesse“, verlautete vom VdK.

Soll es dazu kommen, müssten sich allerdings endlich auch andere Medienorgane des Themas annehmen. Bisher wird der Fall praktisch totgeschwiegen, wohl weil sich der deutsche „Qualitätsjournalismus“ nicht auf die junge Welt beruft. Den Verantwortlichen spielt das freilich in die Karten – so lässt sich Zeit gewinnen, um sich auf Kommendes vorzubereiten. Linkspartei und Grüne haben angekündigt, der Regierung in puncto UPD auf den Zahn fühlen zu wollen und den Fall in den zuständigen Ausschüssen zur Sprache zu bringen. Außerdem wird sich Mitte September der UPD-Beirat mit der Angelegenheit befassen.

 

Vielleicht läuft die Sache am Ende wie üblich ab und alles bleibt, wie es ist. Die Sprachregelung dafür hat die GKV schon in Ihrem Brief an den Patientenbeauftragten vorweggenommen: Die Veränderungen hätten „keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf die vertraglichen Beziehungen des GKV-Spitzenverbandes mit der Sanvartis GmbH und der eigenständigen, gemeinnützigen UPD“. Kein Grund zur Sorge also und schon gar kein Grund, den Staatsanwalt zu bemühen …

 

 

 

 

Quellen:

[1] Junge Welt, Ralf Wurzbacher, „Verraten und verkauft“, am 29.08.2018, <https://www.jungewelt.de/artikel/338764.lobbyarbeit-verraten-und-verkauft.html?sstr=sanvartis>
[2] Der Paritätische Gesamtverband, Philipp Meinert, „Paritätischer warnt vor Einfluss der Pharmalobby bei der Unabhängigen Patientenberatung“, am 29.08.2018, <https://www.der-paritaetische.de/presse/paritaetischer-warnt-vor-einfluss-der-pharmalobby-bei-der-unabhaengigen-patientenberatung/>
[3] Sozialverband VdK, Cornelia Jurrmann, „VdK kritisiert geplanten UPD-Verkauf scharf“, am 29.08.2018, <https://www.vdk.de/deutschland/pages/presse/pressemitteilungen_statements/statement/75520/vdk_kritisiert_geplanten_upd-verkauf_scharf>

 

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Von Published On: 16. Oktober 2018Kategorien: Gesundheit & Medizin

Dieser Text wurde zuerst am 07.09.2018 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/der-verkaufte-patient> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

Titelbild Kopie_low

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland gehört neuerdings einem Dienstleister der Pharmaindustrie. Davor gehörte sie einem Dienstleister der Krankenkassen. Ursprünglich gehörte sie einmal der Zivilgesellschaft und war im besten Sinne „gemeinnützig“ – also nicht nur auf dem Papier. Nach der Privatisierung wurde sie ein Spielball von Kapitalinteressen. Kann und soll es so weitergehen?

Man stelle sich Folgendes vor: Eine Firma vermarktet und vertreibt im Auftrag der Pharmaindustrie ein Präparat, etwa einen Blutverdünner. Durch dessen Einnahme trägt ein Patient schwerwiegende gesundheitliche Schäden davon. Er wendet sich an eine Beratungsstelle für Patienten, in der Absicht, den Hersteller juristisch zur Verantwortung zu ziehen und eine Kompensation zu erwirken. Was der Betroffene nicht ahnt: Die Hilfseinrichtung gehört zu genau demselben Unternehmen, das dafür sorgen soll, dass sich das fragliche Medikament gut und teuer verkauft. Frage: Welches Anliegen hat in diesem Fall wohl mehr Gewicht? Das des Geschädigten oder dasjenige des Arzneimittelproduzenten?

Das beschriebene Szenario ist keine hypothetische Spinnerei, sondern ab sofort bittere Realität. Wie die linke Tageszeitung junge Welt (jW) Ende August unter dem Titel „Verraten und verkauft“ exklusiv berichtete, hat die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) klammheimlich den Besitzer gewechselt und steht künftig unter Kontrolle des Pharmadienstleisters Careforce [1].

Faktisch arbeite die Firma mit Sitz in Köln Arzneimittelherstellern zu, „damit die ihre Pillen und Salben besser unter die Leute bringen“, schrieb das Blatt. Im Hintergrund agiere dazu ein Private-Equity-Fonds namens Findos Investor, „der mit dem Geld deutscher Mittelständler auf Renditejagd geht“.

Heuschrecke übernimmt

Der Urheber des jW-Artikels ist auch Autor dieser Zeilen. Hinter ihm liegen wochenlange Recherchen, angefangen mit einem Tipp zweier Insider vor sieben Wochen. Nach ihren Angaben stünde die Sanvartis GmbH, ein auf Gesundheitsthemen spezialisierter Callcenter-Betreiber mit Sitz in Duisburg, kurz vor der Veräußerung an die Kölner Careforce GmbH. Brisant war der Hinweis deshalb, weil Sanvartis seit rund zweieinhalb Jahren die UPD im Portfolio führt. Darin mutet die 100-prozentige Tochter wie ein Fremdkörper an: Die „gemeinnützige“ UPD unterstützt in gesetzlichem Auftrag hilfesuchende Privat- und Kassenpatienten bei Konflikten mit Ärzten, Krankenversicherungen und Kliniken.
Was, mag man fragen, hat eine Anlaufstelle für Patienten in den Händen eines kommerziellen Unternehmens zu suchen, das sein Geld mit Diensten für Krankenversicherungen und Pharmafirmen macht?

Ausgerechnet die gesetzlichen Krankenkassen zählen zu den Hauptkunden von Sanvartis – und Ärger mit den Kassen ist eines der Hauptmotive, weshalb sich Menschen an die UPD wenden. Noch merkwürdiger erscheint die Konstellation im Lichte des dahinterstehenden Finanzierungsmodells. Die UPD wird zum größten Teil durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mit Millionensummen gefördert. Woher nimmt die GKV das Vertrauen, dass dieses Geld in den Händen eines gewinnorientierten Unternehmens gut aufgehoben ist?

Wie sich noch zeigen wird, spricht vieles dafür, dass die Mittel bei Sanvartis nicht gut aufgehoben sind und eine – den selbsterklärten Ansprüchen nach – „unabhängige“ UPD in einem Umfeld komplett fehl am Platz ist, das die Generierung von Profiten zur Bestimmung hat. Besser wird die Sache ganz sicher nicht dadurch, dass die UPD von nun an in einem Firmenverbund aufgeht, der der pharmazeutischen Industrie noch ein gutes Stück näher steht. Über dem Verbund agiert überdies als Mitgesellschafter ein Finanzinvestor – ein Vertreter jener Zunft, die seit einem Debattenbeitrag von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering gemeinhin als „Heuschrecken“ verrufen ist.

Sehr bezeichnend ist, wie der Vorgang vonstatten ging. Handelsregistereintragungen der zurückliegenden Wochen und Monate belegen eine Vielzahl an Bewegungen rund um die beteiligten Firmen. Dabei wurden mehrere gleich- oder ähnlich klingende Gesellschaften neu gegründet – sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. In der Folge wechselten die jeweiligen Gesellschafteranteile wie wild von einem zum anderen Akteur, mit dem Ergebnis einer kompletten Neuaufstellung von Sanvartis. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Ende Juni in München angemeldete Careforce Sanvartis Holding GmbH, so etwas wie der nominelle Beweis dafür, wer hier mit wem anbandelt.

 

Verwirrspiel

Obwohl spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, wohin die Reise geht, spielten die Beteiligten weiter Verstecken. Wiederholten Anfragen bei Sanvartis und Careforce begegnete man mit Erwiderungen, die zunächst wie ein Dementi klangen, sich später aber als Spitzfindigkeiten herausstellten. So erklärte eine Sanvartis-Sprecherin am 6. August: „Die Aussage, Sanvartis stehe kurz vor der Übernahme durch die Careforce GmbH, ist falsch.“ Am 22. August legte sie nach: „Inhaber der Sanvartis ist auch zukünftig die Sanvartis Group GmbH allerdings durch Übertragung zukünftig mit Sitz in Deutschland“, um dann noch einmal zu bekräftigten, dass daraus keine Kontrolle durch Careforce erwachsen würde. Genau genommen stimmt das sogar, denn tatsächlich stehen in der neuen Gesellschafterstruktur die Sanvartis Group GmbH mit ihren sechs Töchtern – eine davon die UPD – und die Careforce GmbH als Schwesterfirmen nebeneinander.

Entscheidend ist aber, wer über den Töchtern als Gesellschafter der übergeordneten Careforce Sanvartis Holding GmbH thront. Das sind die Sanvartis-Manager Manuel Ebner, Jan Hermann und Andreas Bleiziffer, die Careforce-Gründer Marko-René und Andrea Scholl sowie der Mittelstandsfonds Findos Investor, der nach Eigendarstellung an mehr als einem Dutzend weiterer Firmen Beteiligungen hält. Nicht mehr vertreten ist dagegen die Vendus Gruppe, die bisherige Konzernmutter des Sanvartis-Verbunds. Zudem taucht mit der Neukonstruktion quasi eine Attrappe der einst schweizerischen Sanvartis Group GmbH – die bis dahin den sechs Sanvartis-Töchtern vorstand – in deutschen Landen auf, unter gleichem Namen zwar, aber als komplett neues Unternehmen mit neuem Eigner.

„Diese Namensgleichheit sollte wohl den Verkauf verschleiern, Careforce ist neuer Eigner“, mutmaßte in der Vorwoche der Geschäftsführer des Verbunds unabhängige Patientenberatung (VuP), Günter Hölling. Über ein „Rumgeschiebe und Tricksen“ klagte man auch beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Schon lange davor hatten die beiden Informanten des Autors ein „Täuschungsmanöver“ mit dem Ziel ausgemacht, die Konkurrenz hinters Licht zu führen. Nach ihrer Darstellung hatten sogar bereits die früheren Strukturen einen doppelten Boden. So wäre die „alte“ eidgenössische Sanvartis Group GmbH nur „eine Art Hülle“ für die deutsche Sanvartis GmbH in Duisburg gewesen, soll heißen: ein Steuerschlupfloch.

Bei diesem Verwirrspiel um die Transaktion tappte neben den Wettbewerbern auch die Öffentlichkeit im Dunkeln. Na und, mag einer einwenden: Jeden Tag wechseln in der Wirtschaft hundertfach die Besitzverhältnisse. Was hat das den Bürger anzugehen? In diesem Fall liegen die Dinge jedoch anders: Vertragspartner der UPD ist der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die kostenfreien Beratungsangebote sind seit 2011 Teil der Regelversorgung und die Leistungen werden aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten finanziert. Außerdem sitzt der Patientenbeauftragte der Bundesregierung dem wissenschaftlichen Beirat der UPD vor, der darüber zu wachen hat, dass die Beratungspraxis den Vorgaben von Unabhängigkeit und Neutralität gegenüber Partikularinteressen – etwa auch einer Einflussnahme durch Sanvartis – genügt. Schließlich ist es der ausdrücklich „gemeinnützige“ Zweck der Einrichtung, Geschädigte, Bedrängte und Übervorteilte gegen politische, Industrie- und Verwaltungsinteressen zu verteidigen.

Kein öffentliches Interesse?

Das alles bedeutet: In der UPD sind die Sphären Staat, Gemeinwesen und Politik nicht außen vor, sie sitzen quasi mit im Boot, gehören zur festen Besatzung – und natürlich berührt es das öffentliche Interesse, wenn ein neuer Kapitän das Steuer übernimmt. Die Beteiligten sehen das anders. Der GKV-Spitzenverband ließ noch am 28. August auf Anfrage durch eine Sprecherin ausrichten: „Da nach unserem jetzigen – noch nicht abschließenden – Informationsstand keine Hinweise darauf vorliegen, dass Veränderungen in der Gesellschafterstruktur der Holding Auswirkungen auf die Beratungsangebote der UPD gGmbH haben können, können wir den Bedarf an einer allgemeinen öffentlichen Information nicht erkennen.“ Tatsächlich gab es bis dato, 6. September, keine offizielle Verlautbarung zu dem Vorgang, weder durch die GKV noch durch die Bundesregierung. Dabei soll die jW-Veröffentlichung allerhand Wirbel im politischen Betrieb ausgelöst haben – durch alle Fraktionen bis hoch zum Gesundheitsminister.

 


Foto: unbekannt (pxhere / CC0)

 

Auch haben sich inzwischen mehrere Verbände [2] zu Wort gemeldet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband äußerte sich „alarmiert“ und befand, „damit erweist man den Patientinnen und Patienten einen Bärendienst“. VuP-Vorstand Günter Hölling erklärte, „die UPD ist käuflich, unabhängige Patientenberatung wird zur Farce, private Investoren bereichern sich an Fördergeldern für die Patientenberatung und die Gemeinnützigkeit der UPD steht in Frage“. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (BAGP) bemerkte zum Einstieg von Careforce, „deren Motiv, die UPD zu übernehmen, ist vermutlich rein monetär motiviert. Wie kann das aber sein, dass Versichertengelder ohne jede Gegenleistung Gewinne generieren?“

„Patienten dürfen nicht im Unklaren darüber gelassen werden, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie sich an die UPD wenden“, gab die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) zu bedenken und weiter: „Dies ist nicht nur ein Gebot der Transparenz, auch im Umgang mit öffentlichen Geldern, sondern auch die Voraussetzung dafür, dass eine unabhängige Patientenberatung überhaupt funktionieren kann.“ Nicht zuletzt monierte der Sozialverband VdK Deutschland [3] „fehlende Transparenz“ und die Nähe der neuen Eigner zur pharmazeutischen Industrie. „Das lässt sich nicht mit dem Konzept einer unabhängigen und neutralen Beratungsstelle vereinbaren. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier zu intervenieren, damit es nicht so weit kommt.“

Dafür könnte es schon zu spät sein. Wie Sanvartis am 29. August verbreitete, „erfolgte die Unterschrift unter den Verträgen bereits Anfang August“. Allerdings habe „sich die formelle Abwicklung länger hingezogen“. Erhellend ist die Stellungnahme mit Blick auf die Rolle der GKV. Der Spitzenverband „sei informiert worden“, heißt es und anders als es jW dargestellt habe, sei die Transaktion „keinesfalls klammheimlich durchgeführt“ worden. Dem sei hier widersprochen: Auf wiederholte Anfragen seit Anfang August – bei der GKV wie beim Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Ralf Brauksiepe (CDU), – wurde jedes Mal erwidert, über „keinerlei Informationen“ oder „nicht (…) gesicherte Erkenntnisse“ zu dem Sachverhalt zu verfügen.

Ahnungslose Mitwisser

Rückblickend ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die Sanvartis-Mutter Vendus hat die GKV nachweislich am 6. August in einem Brief an die für die UPD zuständigen Funktionäre Gerd Kukla und Heike Wöllenstein über den Gesellschafterwechsel unterrichtet. Das räumt man mittlerweile auch beim Spitzenverband ein, wobei deren Sprecherin sogar noch weiter zurückgeht. Nach ihren Angaben setzte die Klärung der Hintergründe bereits „Ende Juli“ ein, seit den ersten Hinweisen aus einer schriftlichen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen an die Bundesregierung. Die Antwort darauf erfolgte am 2. August durch Staatssekretärin Sabine Weiss. Obwohl seit „Ende Juli“ schon mehrere Tage vergangen waren, beschied sie: „Der Bundesregierung sind solche Pläne nicht bekannt.“

War die Regierung zu dem Zeitpunkt also doch nicht unterrichtet? Während eines Telefonats mit dem Referenten des Patientenbeauftragten am 5. August hinterließ dieser durchaus den Eindruck, als wäre man von den Entwicklungen überrascht worden und würde die Dinge mit einigem Unmut verfolgen. Später soll sogar Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wegen des jW-Beitrags Aufklärung verlangt haben. Seitens der GKV-Pressestelle hieß es dagegen, man habe mit Brauksiepes Büro schon „seit Ende Juli“ im Austausch gestanden. Offenbar existieren in der Frage, wer wann wie viel wusste, unterschiedliche Wahrnehmungen. Es ließe sich auch argwöhnen: Irgendwer lügt.

Weil der Fall intern hohe Wellen schlägt, dringt mittlerweile jede Vertraulichkeit nach draußen, darunter ein Schreiben der GKV-Abteilungsleiterin für Gesundheit, Monika Kücking, an Brauksiepe vom 30. August.

Hierin werden die Abläufe der zurückliegenden Wochen einschließlich des Schriftwechsels mit der Vendus Gruppe sehr detailliert nachgezeichnet und bewertet, so als sollte damit endlich auch der Patientenbeauftragte auf den Stand der Dinge gebracht werden. Wozu der Aufwand, wenn die Bundesregierung von Anbeginn auf dem Laufenden war? Abschließend äußert Kücking noch die Hoffnung, „mit ihren Ausführungen zur Transparenz beigetragen und verdeutlicht zu haben, dass der erweckte Eindruck, der GKV-Spitzenverband befasse sich nicht mit den Veränderungen (…) und möglichen Auswirkungen auf die UPD, völlig gegenstandslos ist“.

Eigentlich wurde in der jW-Berichterstattung jedoch ein anderer Verdacht geäußert: Dass die GKV ihr Wissen über die Geschehnisse vielleicht für sich behalten hat, damit die „formelle Abwicklung“ der Transaktion ungestört und ohne öffentliche Diskussion über die Bühne gehen kann.

Eine ahnungslose Regierung und ahnungslose Medien wären einem solchen Unterfangen gewiss zuträglich gewesen, zumal die GKV-Führung schon einmal erleben musste, wie es anders und für sie schlechter laufen kann. Hatte doch gerade sie und mit ihr die große Koalition bei der vor zweieinhalb Jahren ins Werk gesetzten Privatisierung der Unabhängigen Patientenberatung über Wochen im Kreuzfeuer der Kritik gestanden.

Beherrscht und „unabhängig“

Rückblick: Von 2006 bis 2015 hatte sich die einst als reines Non-Profit-Projekt gestartete UPD in der Trägerschaft durch den Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sowie den Verbund unabhängige Patientenberatung (VuP) befunden. Zum Jahresanfang 2016 wurde sie dann nach europaweiter Ausschreibung an die Sanvartis GmbH übergeben, der sie als „Untergesellschaft“ gemäß den Vorgaben eines „Beherrschungsvertrags“ unterstellt ist. Nach dessen Wortlaut ist die UPD „verpflichtet, den Weisungen der Obergesellschaft zu folgen“ und jederzeit Einblick in ihre „Bücher und Schriften“ zu gewähren.

Allerdings hatten die Privatisierungspläne, die maßgeblich durch die GKV vorangetrieben worden sein sollen, einen heftigen öffentlichen Aufschrei provoziert. Noch ehe der Wechsel vollzogen war, wurde allenthalben laut davor gewarnt, dass die UPD ihre „Unabhängigkeit“ unter dem Dach eines Unternehmens verlieren werde, das sich im Besonderen als Auftragnehmer der Krankenkassen sowie der Pharmabranche betätigt. Die Verantwortlichen erkannten darin allerdings kein Problem und konterten die Einwände mit der Behauptung, die Eigenständigkeit der UPD wäre auch unter den veränderten Bedingungen gesichert. Garantieren solle das ein System laufender Auditierung und Evaluation. Außerdem stehe die Tätigkeit der UPD unter ständiger Begleitung des wissenschaftlichen Beirats unter Vorsitz des Patientenbeauftragten. Aber nicht einmal alle Mitglieder des Gremiums trauten seinerzeit der Neukonstruktion über den Weg. Mit Marie-Luise Dierks und Rolf Rosenbrock legten im September 2015 gleich zwei ihr Amt aus Protest nieder.

Zu den Kritikern der ersten Stunde gehört auch der ehemalige UPD-Bundesgeschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. Für ihn gingen schon mit der Sanvartis-Übernahme Widersprüche einher, „die sich auch durch die Institutionalisierung von Auditoren und den Einsatz wissenschaftlicher Beiräte nicht heilen lassen. Der Interessenkonflikt ist ein Faktum und Unabhängigkeit lässt sich nicht durch Kontrolle erzeugen.“ Im Gespräch mit dem Rubikon schilderte er die „alten Zeiten“: Die UPD sei in „eine durch und durch gemeinnützige“ Gesellschafterstruktur eingebunden gewesen. „Kommerzielle Interessen gab es keine, ebenso wenig Abhängigkeiten von finanziellen Zuwendungen durch Kostenträger oder Leistungserbringer des Gesundheitssystems, auch Interessenkonflikte durch Nebentätigkeiten der Berater waren ausgeschlossen“. Die jüngsten Ereignisse sieht Schmidt-Kaehler mit großer Sorge. Wer die UPD auf dem freien Markt feilbietet, „der muss auch damit rechnen, dass diese Gesellschaft irgendwann einmal weiterveräußert wird. Mit anderen Worten: Die UPD wird verkäuflich und die Gesellschafterstruktur lässt sich nicht mehr kontrollieren.“

Wer künftig nach den Akteuren hinter der UPD suche, lande mit wenigen Klicks bei einem Dienstleister der Pharmabranche. „Für den Aufbau der Vertrauensmarke UPD wäre das ein herber Rückschlag“, beklagte Schmidt-Kaehler. Das deckt sich mit der Sicht von Ex-Beiratsmitglied Rosenbrock, heute Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Unabhängigkeit der Beratung „muss stark bezweifelt“ werden, „fragwürdig“ wären überdies die Eignung und Gemeinnützigkeit der Careforce GmbH. Sein Schluss: „Eine wirkliche unabhängige Patientenberatung gehört nicht in die Hand der Gewinnwirtschaft, sondern unter die Regie der Zivilgesellschaft.“

Nur noch ein Callcenter

Man mag sich fragen: Wie verdient eigentlich Sanvartis mit dem Betrieb der „gemeinnützigen“ Patientenberatung Geld? Die UPD erhält nach dem Gesetz jährliche Zuwendungen durch die GKV von derzeit neun Millionen Euro. Dazu kommt noch ein – vergleichsweise unerheblicher – Beitrag durch die Private Krankenversicherung (PKV). Aus diesen Mitteln muss Sanvartis ihre diversen Beratungsdienstleistungen finanzieren, die für die Betroffenen durchweg gratis sind. Daraus folgt: Je geringer die Ausgaben für den Betrieb ausfallen, desto mehr bleibt von der Fördersumme als Gewinn hängen.

 


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Wie in vielen anderen Fällen, in denen staatliche Leistungen in die Regie der Privatwirtschaft überführt wurden, ging auch die Neuaufstellung der UDP auf Kosten der Qualität. Das belegt eine Vielzahl an Medienberichten aus dem Vorjahr. Vor zehn Monaten schrieb zum Beispiel die Ärzte Zeitung, dass 2016 allein in Bremen die Zahl der Patientenkontakte zur UDP um 75 Prozent gegenüber dem Jahr 2014 zurückgegangen wäre. Das Ärzteblatt berichtete, dass in Stoßzeiten viele Anrufer bei einem „Überlaufteam“ landen würden, deren Mitarbeiter bei Sanvartis unter Vertrag stehen. Im März 2017 sollen dies allein 2.712 gewesen sein. Im Berliner Tagesspiegel klagte im August 2017 Kathrin Vogler von der Linksfraktion im Bundestag über einen Rückgang der Vor-Ort-Beratungen von 14 auf 3,7 Prozent. Außerdem wäre die Quote der Beratungen zu Patientenrechten und Behandlungsfehlern „drastisch eingebrochen“, während die Zahl der Beschwerden von 18 im Jahr 2015 auf 559 in 2016 zugelegt habe.

Das alles hat sich die Linken-Politikerin nicht ausgedacht, sondern es steht so im „Monitor Patientenberatung 2017“, in dem 155.000 Beratungen dokumentiert und ausgewertet sind. Der Bericht stellt zugleich eine Art Leistungsbilanz der UPD dar, weil er einen Vergleich der Kennzahlen der „alten“ UPD von 2015 mit denen der „neuen“ von 2016 erlaubt. Die Linke hatte dazu die Bundesregierung in einer Anfrage um eine Einordnung gebeten und die Antwort geriet erwartungsgemäß zu einer Lobeshymne. O-Ton: Die UPD habe seit 2016 „eine ausgesprochen positive Entwicklung durchlaufen“.

Einige in der Anfrage vorgebrachte Punkte bilden hingegen eine deutlich „negative Entwicklung“ ab: Demnach sei die Zahl der UPD-Beschäftigten trotz besserer Finanzausstattung gesunken. Die Zahl des akademisch geschulten Personals habe sich mehr als halbiert. Der Bereich der psychosozialen Beratung sei aus dem Leistungskatalog gestrichen worden. „Durch die von Union und SPD gebilligte Übernahme der UPD durch die Sanvartis GmbH wurde die Patientenberatung faktisch in ein Callcenter verwandelt, befand die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, gegenüber jW. Sylvia Gabelmann von der Linken-Bundestagsfraktion beanstandete: „Der Fall zeigt deutlich, dass die Privatisierung der UPD ein fataler Irrweg war und nicht dadurch besser wird, dass man den Fehler wiederholt.“

Software zum Mondpreis

Ex-UPD-Geschäftsführer Schmidt-Kaehler bedauert insbesondere die Einschränkungen zum Nachteil „vulnerabler“ Gruppen, etwa sozial Benachteiligter und Migranten. Diese hätten unter den früheren Bedingungen die Beratungsstellen vor Ort ohne bürokratische Hürden aufsuchen und Hilfe erbeten können. Das Angebot wäre deshalb so gut angenommen worden, weil der fragliche Personenkreis telefonische Kontakte erfahrungsgemäß scheue. Wie man heute mit diesen Menschen verfährt, wird daran ersichtlich, dass laut Linken-Anfrage die Zahl der muttersprachlichen Beratungen in türkischer, arabischer und russischer Sprache um 64 Prozent zurückgegangen ist. Merkwürdig erscheint das auch deshalb, weil die dafür vorgesehenen Fördermittel aus dem PKV-Topf um 60 Prozent aufgestockt worden waren.

 

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Aufschluss gibt die 2015 novellierte „Leistungsbeschreibung“ der UPD. „Eine persönliche Beratung vor Ort, zum Beispiel für vulnerable Zielgruppen, für die die physische Präsenz der/des Beraterin/s besonders wichtig ist oder die zum Beispiel nur über ein mangelndes Sprachverständnis verfügen, soll nur nach vorheriger Erstberatung (siehe oben, zum Beispiel per Telefon) und nach Terminvereinbarung angeboten werden.“ Faktisch wirkt die Neuregelung dahingehend, potentiell Hilfsbedürftige von der Wahrnehmung von Beratungsangeboten abzuhalten. Bezeichnenderweise wird die „Leistungsbeschreibung“ durch die GKV vorgenommen, was bedeutet: Die Definitionsmacht darüber, was die UPD leisten soll und was nicht, liegt bei den Krankenkassen – bei dem Akteur also, der am häufigsten in Streitfälle mit Patienten verwickelt ist. Das hat mindestens ein Geschmäckle.

Richtig bitter schmeckt auch das, was noch an Vorwürfen im Raum steht. Wie dem Autor aus vertraulicher Quelle zugetragen wurde, sollen von den UPD-Fördergeldern pro Jahr allein zwei Millionen Euro für die Bezahlung von Lizenzen für eine Wissensmanagement-Software – wohlgemerkt aus Sanvartis-Bestand – fließen. Demnach überweise die „gemeinnützige“ UPD Sanvartis im Bewilligungszeitraum von sieben Jahren, in denen sie die UPD unterhält, allein 14 Millionen Euro dafür, dass die IT-Architektur läuft. Träfe dies zu, hätte sich Sanvartis mit der UPD quasi einen neuen Kunden ins Haus geholt, dem sie auf Kosten der Beitragszahler ein hauseigenes Produkt aufdrückt – ohne Ausschreibung und ohne jeden Akquiseaufwand. Das, so die Quelle, sei das „ganze Geschäftsmodell“, aus dem in Zukunft auch Careforce schöpfen werde.

Bis 2015 musste die UPD mit jährlich 6,4 Millionen Euro haushalten. Davon entfielen auf die GKV 5,8 Millionen Euro, auf die PKV knapp 400.000 Euro. Mit der Ausschreibung wurden die Mittel deutlich aufgestockt, die GKV steuert seither neun Millionen Euro bei, die PKV 630.000 Euro. Im Ganzen entspricht das einem Plus von 55 Prozent. Was mit dem vielen schönen neuen Geld angestellt wird, beschäftigt seit längerem auch die Opposition. Die Linksfraktion hatte in ihrer Anfrage an die Regierung diverse Ausgabenposten aufgeschlüsselt, die Fragen aufwerfen. So seien die Personalkosten im Jahr 2017 mit 3,5 Millionen Euro fast eine halbe Million Euro unter Plan geblieben, Budgetunterschreitungen habe es ferner im Bereich Qualität/Fortbildung gegeben. Die Kosten für „Projektleitung, -management und -verwaltung“ hätten sich dagegen mit 1,4 Millionen Euro um mehr als ein Drittel gegenüber den veranschlagten Mitteln erhöht.

Fall für den Staatsanwalt?

Schon diese Zahlen liefern Hinweise darauf, dass am Beratungsbetrieb zugunsten solcher Posten gespart worden sein könnte, die sich auf der Habenseite als versteckter Gewinn niederschlagen. Richtig lohnend erscheint das Geschäft indes erst durch den Dreh mit den Softwarelizenzen. Das hier womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugeht, ahnt man auch bei der Linkspartei: Ob die Regierung bestätigen könne, „dass für den Haushaltsplan 2017 statt geplanter 1,73 Millionen Euro nunmehr eine Summe von 1,826 Millionen Euro als Kosten für Hardware, Software, Datenbanken und Qualitätssicherungsinstrumente verausgabt werden, wobei 1,5 Millionen Euro als jährliche Kosten der UPD an die Muttergesellschaft Sanvartis GmbH gezahlt werden“, wollte sie wissen.

 


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Antwort der Regierung: Keine, weil dies die „nach Artikel 2 Absatz 1 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ berühre. Im Übrigen habe die Vergabekammer keine Anhaltspunkte dafür erkannt, dass „die von der BG (Sanvartis GmbH) für den Einkauf eines Informationsmanagementsystems oder auch sonstiger IT-Ausstattung angesetzten Preise oder Lizenzgebühren überhöht sind“. Wie wäre es damit? Laut Schmidt-Kaehler hat die „alte“ UPD für den gleichen Posten nur rund 50.000 Euro ausgegeben. Bittere Ironie: Schon in seiner Amtszeit als Geschäftsführer wären die Weichen für eine deutliche Aufbesserung des UPD-Etats gestellt worden – allerdings mit der Zielstellung, das Beratungsangebot auszubauen.

Die alarmierten Verbände rufen unisono nach Aufklärung. Es bestehe „zumindest der Anfangsverdacht eines Scheingeschäftes“, erklärte BAGP-Sprecher Gregor Bornes. „Die Frage ist, ob diese Kosten für Software und Lizenzen bereits im Angebot von Sanvartis in 2015 eingepreist waren und damit gebilligt wurden vom GKV-Spitzenverband und dem Bundesgesundheitsministerium.“ Die Vorgänge erforderten „eine umgehende öffentliche sowie parlamentarische Aufklärung, einer Kontrolle durch Aufsichtsorgane, Finanzamt und Bundesrechnungshof“, bekräftigte der Paritätische Wohlfahrtsverband. „Von den Verantwortlichen fordern wir Transparenz und Aufklärung über die Übernahme- und Organisationsprozesse“, verlautete vom VdK.

Soll es dazu kommen, müssten sich allerdings endlich auch andere Medienorgane des Themas annehmen. Bisher wird der Fall praktisch totgeschwiegen, wohl weil sich der deutsche „Qualitätsjournalismus“ nicht auf die junge Welt beruft. Den Verantwortlichen spielt das freilich in die Karten – so lässt sich Zeit gewinnen, um sich auf Kommendes vorzubereiten. Linkspartei und Grüne haben angekündigt, der Regierung in puncto UPD auf den Zahn fühlen zu wollen und den Fall in den zuständigen Ausschüssen zur Sprache zu bringen. Außerdem wird sich Mitte September der UPD-Beirat mit der Angelegenheit befassen.

 

Vielleicht läuft die Sache am Ende wie üblich ab und alles bleibt, wie es ist. Die Sprachregelung dafür hat die GKV schon in Ihrem Brief an den Patientenbeauftragten vorweggenommen: Die Veränderungen hätten „keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf die vertraglichen Beziehungen des GKV-Spitzenverbandes mit der Sanvartis GmbH und der eigenständigen, gemeinnützigen UPD“. Kein Grund zur Sorge also und schon gar kein Grund, den Staatsanwalt zu bemühen …

 

 

 

 

Quellen:

[1] Junge Welt, Ralf Wurzbacher, „Verraten und verkauft“, am 29.08.2018, <https://www.jungewelt.de/artikel/338764.lobbyarbeit-verraten-und-verkauft.html?sstr=sanvartis>
[2] Der Paritätische Gesamtverband, Philipp Meinert, „Paritätischer warnt vor Einfluss der Pharmalobby bei der Unabhängigen Patientenberatung“, am 29.08.2018, <https://www.der-paritaetische.de/presse/paritaetischer-warnt-vor-einfluss-der-pharmalobby-bei-der-unabhaengigen-patientenberatung/>
[3] Sozialverband VdK, Cornelia Jurrmann, „VdK kritisiert geplanten UPD-Verkauf scharf“, am 29.08.2018, <https://www.vdk.de/deutschland/pages/presse/pressemitteilungen_statements/statement/75520/vdk_kritisiert_geplanten_upd-verkauf_scharf>