Eritrea – ein Stern in der Nacht Afrikas

Von Published On: 23. Dezember 2017Kategorien: Allgemein

Nach Auffassung des italienischen Journalisten und Dokumentarfilmers Fulvio Grimaldi soll die besonders großzügige Asylgewährung Italiens für Eritreer das Land gezielt seiner jungen Generation berauben und es in seiner Entwicklung behindern. Eine vergleichbare Politik verfolgen EU und Bundesregierung nach Fulvio Grimaldi gegenüber Eritrea. Die säkulare Regierung des Landes, in dem neun verschiedene Ethnien, Christen und Moslems friedlich zusammenleben, sieht sich wegen ihrer eigenständigen Politik seit Jahren mit Wirtschaftssanktionen und Aggressionen durch das benachbarte und von den USA dabei unterstützte Äthiopien konfrontiert.

 

Die Asylpolitik ist integraler Bestandteil der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Sie wird nicht von humanitären Überlegungen bestimmt, sondern richtet sich nach den Zielen, welche die Bundesregierung gegenüber den jeweiligen Herkunftsländer verfolgt. Das wichtigste Kriterium für die Behörden, wie schnell der Antrag eines Flüchtlings auf Asyl zu bearbeiten und wie er zu entscheiden ist, ob und wie schnell der Flüchtling Zugang zu notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen und dem Arbeitsmarkt erhält, ist deshalb sein Herkunftsland.

 

Die Bundesregierung weiß genau, dass der Verlust vieler gut ausgebildeter Arbeitskräfte zur Destabilisierung eines Landes beitragen und seine Entwicklung verhindern kann. Von dieser Erkenntnis hat sie sich bei ihrer Politik gegenüber der ihr verhassten früheren DDR stets leiten lassen. Sie hat deshalb dafür gesorgt, dass DDR-Bürgern aus ihrer Flucht in die Bundesrepublik keine materiellen Nachteile entstanden, beispielsweise wegen Beiträgen für ihre Altersversorgung, die sie in der DDR geleistet und nicht in die westdeutschen Rentenkassen eingezahlt hatten.

 

Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ende 2014 beschloss, Asylverfahren von syrischen Antragstellern „ab sofort prioritär in einem vereinfachten Verfahren“ ohne mündliche Anhörung nur auf der Grundlage eines Fragebogens in einer „angestrebten Verfahrensdauer von 11 Tagen“ zu bearbeiten [1] und schließlich die Bundeskanzlerin im August 2015 entschied, das Dublin-Verfahren zeitweise und ausschließlich für Syrer auszusetzen, lagen ähnliche Motive vor.

 

Mit der Zusage, syrischen Flüchtlingen ohne Einzelfallprüfung in kürzester Zeit die Anerkennung als Asylbewerber mit Anspruch auf Familienzusammenführung, notwendiger Weiterqualifizierung und Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland zu geben, sollte dem syrischen Staat in einer äußerst kritischen Phase Zehntausende an gut ausgebildeten Fachkräften und dringend benötigten Rekruten entzogen und sein Zusammenbruch beschleunigt werden [3].

 

Eine vergleichbare Politik verfolgen EU und Bundesregierung nach Auffassung des italienischen Journalisten und Dokumentarfilmers Fulvio Grimaldi gegenüber Eritrea. Die säkulare Regierung des Landes, in dem neun verschiedene Ethnien, Christen und Moslems friedlich zusammenleben, sieht sich wegen ihrer eigenständigen Politik seit Jahren mit Wirtschaftssanktionen und Aggressionen durch das benachbarte und von den USA dabei unterstützte Äthiopien konfrontiert.

 

Nach Auffassung von Fulvio Grimaldi soll die besonders großzügige Asylgewährung für Eritreer das Land gezielt seiner jungen Generation berauben und es in seiner Entwicklung behindern. Nachfolgend das Interview mit dem Titel „Eritrea – wozu Italien der Mut fehlt“(4), das Grimaldi dem italienischen Journalisten Cesare Germoglio im Juli 2017 gegeben hat. Grimaldi kennt das Land bereits seit 1971. Damals hat er Kämpfer der eritreischen Befreiungsfront zur Zeit der äthiopischen Besatzungsmacht über Monate hinweg begleitet. Im Spätherbst möchte er mit seinem neuen Film „Eritrea, a star in the night of Africa“ nach Deutschland kommen.

Interview

Frage: Herr Grimaldi, worin besteht die Sonderstellung Eritreas innerhalb Afrikas und insbesondere hinsichtlich seiner Beziehungen zum Westen?

 

Fulvio Grimaldi: Wenn man sich mit der Situation in Eritrea auseinandersetzt, sollte man immer die Gesamtentwicklung auf dem afrikanischen Kontinent im Auge haben. Afrika erlebt derzeit massive Angriffe vieler Mächte, die erkannt haben, dass sich dort für die Zukunft ein großes ökonomisches Potential und Möglichkeiten für unschätzbare Bereicherung befinden. Afrika hat eine ganze Reihe korrupter Regierungen, die einem neuen Kolonialismus die Türen geöffnet haben. Deshalb bestehen auch unter politischen und sozialen Gesichtspunkten die Voraussetzungen, Einfluss zu nehmen und davon zu profitieren. Dieser neue Kolonialismus wird mit erneuter Kraft im Wesentlichen von den alten früheren Kolonialmächten vorangetrieben. Zusätzlich sind jetzt noch die USA in der ersten Reihe ganz vorne mit dabei.

 

Von dieser allgemeinen Entwicklung setzt sich Eritrea ein wenig ab. Es nimmt eine Sonderrolle ein, unterscheidet sich von der Mehrheit der afrikanischen Staaten, indem es sich dem Diktat der internationalen politischen und Finanzinstitutionen nicht unterwirft. Das hat dem Land natürlich die Feindschaft der westlichen Mächte gebracht, die von einer massiven feindseligen Medienkampagne begleitet wird. Der Grund: Dieses Land entspricht nicht der gewünschten Vorstellung, dass sich die Regierungen der südlichen Welt unterzuordnen haben. Als einziges afrikanisches Land neben Zimbabwe akzeptiert es keinerlei militärische Präsenz der USA auf dem eigenen Territorium. Das Klima, das sich gegen Eritrea gebildet hat, hatte verschiedene Folgen: unter anderem die Sanktionen, welche die UN 2009 beschlossen haben.

 

Frage: Wie kritisch ist aktuell die politische und wirtschaftliche Situation Eritreas?

 

Fulvio Grimaldi: Die Sanktionen von 2009 haben die Lage mit Sicherheit verschlechtert. Bei der Beurteilung der Lage darf man allerdings nicht vergessen, dass Eritrea einen Befreiungskrieg hinter sich hat, der über 30 Jahre angedauert hat. Die Sanktionen erschweren es Eritrea, für andere Länder zu einem Wirtschaftspartner zu werden, ohne dass diese ihrerseits sanktioniert und isoliert werden.

 

Dennoch sieht die Realität anders aus, als die Medien mit ihrer Propaganda sie uns verkaufen wollen: Ein Land, das Geisel einer Diktatur sei. Diese wäre die Ursache für extreme Armut, der die Bevölkerung auf jegliche Weise zu entfliehen versuche. Die Sozialpolitik des Landes ist auf eine gleichmäßige Verteilung des Reichtums ausgerichtet, so dass Hunger und Elend beseitigt werden. Es handelt sich um ein Modell sozialer und ökologischer Gerechtigkeit [5]. Wegen seiner Ausstrahlungskraft kann dieses Modell aus der Sicht der räuberischen Interessen des neuen Kolonialismus nur Hass hervorrufen.

 

Frage: Welche Ursachen hat der große Zufluss von Flüchtlingen aus Eritrea nach Europa?

 

Fulvio Grimaldi: Dafür sind wirtschaftliche und nicht politische Probleme entscheidend. Die internationalen Sanktionen haben die Entwicklung erheblich behindert. In den Jahren nach der Befreiung 1991 bis zur äthiopischen Aggression 1998–2000 [6], die im Auftrag der USA erfolgte, gehörten die Wachstumsraten Eritreas zu den höchsten in Afrika.

 

Ich habe Eritrea wiederholt bereist. Extremes Elend und Hunger, die man in vielen anderen Ländern auf dem Kontinent findet, habe ich nicht angetroffen. Das ist das Verdienst der Regierung. Für sie hat die eigenständige Versorgung und die Unabhängigkeit von den internationalen Organisationen absolute Priorität [7]. Das ist Ergebnis einer Politik, welche die Grundversorgung der Bevölkerung an die oberste Stelle setzt und wodurch es folglich nur geringe Ungleichheiten gibt. Obwohl das Land mit schwierigen Problemen konfrontiert ist, mit Angriffskriegen, wirtschaftlicher und diplomatischer Isolierung, dem Mangel an Handelsaustausch – außer mit einigen arabischen Ländern, die sich um die internationalen Sanktionen nicht kümmern [8] –, ist in allen Teilen Eritreas keine extreme Armut zu sehen. Diese Isolierung des Landes verhindert jedoch, dass der Arbeitsmarkt der jungen Generation ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen kann und hat einen beachtlichen Strom an Auswanderern geschaffen. In den Statistiken wird die Emigration zudem durch einen zusätzlichen Faktor aufgebläht. Weil die Kolonialmächte das Land seiner besten Kräfte berauben wollen, wird Flüchtlingen aus Eritrea – und nur ihnen – in Europa automatisch Asyl gewährt [9]. Deshalb behaupten auch viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern Äthiopien, Ghibuti und Somalia, die große ethnische, sprachliche und kulturelle Nähe aufweisen, die eritreische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Sie möchten dadurch Rechte erhalten, die ihnen andernfalls nicht gewährt würden. Ein weiterer Faktor ist der natürliche Wunsch nach Familienzusammenführung mit der ersten Generation eritreischer Flüchtlinge, die in unser Land [gemeint ist Italien; Red.] vor allem in den 70er Jahren gekommen sind. Sie waren vor den Bombardierungen und der Repression durch das Regime in Äthiopien geflohen.

 

Frage: Der eritreische Außenminister hat vor kurzem großes Interesse an der Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen und der Beziehungen zu Unternehmen der früheren italienischen Kolonialmacht gezeigt. Er hat in unserem Land allerdings kein aufmerksames Gehör gefunden. Sollte es tatsächlich so sein: Welche Chancen verspielen wir damit?

 

Fulvio Grimaldi: Es ist mit Sicherheit so. Das ist eine große historische Schande für Italien, das gegenüber Eritrea eine gewaltige Schuld hat. Wir waren eine ausgeprägt räuberische Kolonialmacht, ziemlich rücksichtslos und mit einer Politik, die an die Apartheid in Südafrika erinnert. Sicher haben wir auch zu einer gewissen Entwicklung des Landes im Bereich Städtebau, Landwirtschaft und der Leichtindustrie beigetragen, aber immer und in erster Linie zum Nutzen der bürgerlichen italienischen Klassen, welche die Kolonialisierung betrieben haben. Die einheimische Bevölkerung hatte keinen Zugang zu höheren Bildung, sie durfte keine höhere als die 4. Klasse der Grundschule besuchen, sie hatte innerhalb der eigenen Ghettos zu bleiben und nur Zugang zu den niedrigsten Arbeiten.

 

Alle Regierungen der Nachkriegszeit sind dafür verantwortlich, dass Eritrea die ihm geschuldeten und auch nützlichen Beziehungen von Freundschaft und Zusammenarbeit verweigert wurden. Angesichts der großen geostrategischen und geoökonomischen Möglichkeiten, die Eritrea mit seiner zentralen strategischen Lage am Roten Meer und der Meeresenge von Bab-el-Mandeb bietet, ist eine solche Politik gegen unsere eigenen Interessen gerichtet. Bab-el-Mandeb öffnet den Weg nach dem Osten, ist eine Art Brücke zwischen dem Mittleren Osten, Asien, Europa und Afrika. Abgesehen davon ist Eritrea reich an natürlichen Ressourcen.

 

Weil wir uns den multinationalen Konzernen und westlichen Machtzentren unterwerfen, haben wir nicht den Mut und die Kraft gehabt, unsere Möglichkeiten für eine privilegierte Partnerschaft mit einem Land wahrzunehmen, das eine Schlüsselrolle am Horn von Afrika spielt, und daraus Vorteile zu ziehen. Es sind das die gleichen Kräfte, die den Sturz von Ghaddafi in Libyen verursacht haben, einem anderen Land, mit dem Italien privilegierte wirtschaftliche Beziehungen, vor allem im Energiebereich, hatte. Indem wir uns dem Vernichtungskrieg, den Frankreich, USA und Nato in Gang gesetzt hatten, angeschlossen haben, haben wir nicht nur den Frieden in unserer Region und die weitere Existenz dieses großen Landes in Gefahr gebracht, sondern auch unseren eigenen Interessen einen Schaden zugefügt, der vielleicht nie mehr gut zu machen ist. Unsere Positionen haben andere übernommen.

 

Frage: Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Italien und Eritrea würde doch gut zu der bekannten Forderung des „Helfen wir ihnen zuhause vor Ort!“ passen. Wir stark könnte sie zur Eindämmung der Migrationsströme beitragen?

 

Fulvio Grimaldi: Bereits die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen würde die Migration junger Eritreer nach Europa auf eine vernachlässigbare Größe reduzieren. Deshalb sollten wir aufhören, zu versuchen, anderen Ländern unsere Modelle politischer und institutioneller Ordnung aufzuzwingen. Die Geschichte zeigt, dass der Westen unter diesem Vorwand und mit dem Vorwand, die Menschenrechte zu verteidigen, mehrfach ein Desaster angerichtet hat, anstatt Probleme zu lösen.

 

Im Kern: Um ihnen zu Hause zu helfen, um zu verhindern, dass Eritrea und Afrika ihrer jungen Generationen, ihrer besten Kräfte, ihrer Zukunft beraubt werden und damit sich die afrikanischen Länder nicht schutzlos für die koloniale Ausplünderung zur Verfügung stellen müssen, müsste man nur aufhören, ihnen diktieren zu wollen, was sie zu tun haben. Ihre Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit muss respektiert werden. Zusammenarbeit unter Respektierung ihrer Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit.

 

Anmerkungen:

[1] Seit 2011 hat die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene umfassende Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Syrien durchgesetzt. Sie sollen erklärtermaßen die Wirtschaft dieses Landes lahmlegen und seine Bevölkerung ins Elend und zum Aufstand gegen die eigene Regierung treiben. Ihre Wirkung auf Energie- und Lebensmittelversorgung, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen wird durch gezielte Angriffe auf lebenswichtige Versorgungseinrichtungen durch ISIS und Al Nusra noch verstärkt.Trotz der Not der syrischen Bevölkerung und obwohl die Sanktionen selbst die Arbeit von Hilfsorganisationen weitgehend verhindern, weigert sich die Bundesregierung bis heute, die Sanktionen aufzuheben. Auch daran wird deutlich, dass es ihr zum keinen Zeitpunkt um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der syrischen Bevölkerung ging.

 

[2] Mit seinem Beschluss <http://www.frsh.de/fileadmin/beiboot/BB20/BB-20-6-Anlage.pdf> ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Entscheidung der Innenminister von Bund und Länder vom 17.10.2014 nachgekommen, die Bearbeitung von Asylanträgen von Flüchtlingen aus „extrem unsicheren Herkunftsländern“ zu beschleunigen, weil diese „grundsätzlich und möglichst schnell ihre Anerkennung erhalten sollen“. Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch der Artikel „Ansturm auf die Botschaft“ in Spiegel Online vom 14.8.15 <http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-138148066.html>.

 

[3] Nach dem Fall von Idleb im März und von Palmyra im Mai 2015 schien der Zusammenbruch des völlig erschöpften syrischen Staates nur noch eine Frage von wenigen Wochen zu sein. Der Korrespondent Christoph Ehrhardt überschrieb seinen Bericht in der FAZ vom 19.9.2015 jubelnd: „Assads Armee gehen die Männer aus“. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, wollte die durch Bewaffnung von Terrorgruppen und Sanktionen von den Nato-Staaten selbst verursachte Flüchtlingswelle analog wie 1999 im Kosovo zum Vorwand für ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr nehmen. „Wer sich dazu nicht aufrafft, darf sich nicht wundern, wenn weitere hunderttausende oder Millionen Flüchtlinge bei uns landen.“ (Spiegel Online, 15.9.2015). Das Eingreifen der russischen Luftwaffe seit dem am 30. September 2015 hat den Plänen für einen „regime-change“ in Damaskus einen Strich durch die Rechnung. Seitdem nimmt die Bundesregierung ihre „Großzügigkeit“ gegen Flüchtlingen aus Syrien schrittweise zurück.

 

[4] Das Original-Interview findet sich auf dem Blog von Fulvio Grimaldi: <http://fulviogrimaldi.blogspot.de/2017/07/eritrea-la-dove-litalia-non-ha-coraggio.html>

 

[5] Laut dem UN Health Milennium Development Goals Report von 2014 hat Eritrea seit seiner Unabhängigkeit beeindruckende Erfolge im Gesundheitswesen erreicht: Die Kindersterblichkeit bei unter 5-Jährigen konnte von 150 (1990) auf 50 (2013), die Müttersterblichkeit von 1700 auf 380 bei 100.000 Geburten reduziert werden. Außergewöhnliche Erfolge hat das Land bei der Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malariaerkrankungen vorzuweisen. In seinem Film zu Eritrea verweist Fulvio Grimaldi auch auf folgende Zahlen: Durchschnittliche Lebenserwartung 68 Jahre (2016) gegenüber 49 Jahre 1993, Alphabetisierungsrate 82% (2016) gegenüber 20% (1991), Zugang zu sauberen Trinkwasser 80% (2014) gegenüber 30% 1991, Anbindung an das Stromnetz 38% (2014) gegenüber 20% (1991). Über große Fortschritte in der Stellung und den Rechten der Frauen berichtet Eritrea-Kenner Hans-Ulrich Stauffer in seinem Buch „Eritrea – der zweite Blick“: Klitorisbeschneidung wurde 2007 verboten und unter Strafe gestellt. Das Heiratsalter wurde auf 18 Jahre festgesetzt. Eine Ehe kann auf Antrag von Mann oder Frau geschieden werden. Der bezahlte Schwangerschaftsurlaub beträgt mittlerweile 60 Tage. Der Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung und sowie Gefährdung der Gesundheit der Frau wurde legalisiert. Frauen besetzen inzwischen 3 von 17 Ministerposten (ebenda, Seite 191/2)

 

[6] Äthiopien weigert sich bis heute, die Grenzlinie zu Eritrea anzuerkennen und hält unverändert Teile seines Nachbarlandes besetzt, wie auch die regierungsnahe „Stiftung Wissenschaft und Politik“ bestätigt. Es gilt jedoch als enger Verbündeter des Westens im „Krieg gegen den Terror“. „Bei Repressionen, Menschenrechtsverletzungen und antidemokratischen Maßnahmen der Regierung drückt man zumeist ein Auge zu“, so verständnisvoll die Stiftung (SWP-Aktuell 64, Juli 2015).

 

[7] Wichtigster Handelspartner Eritreas ist heute die Volksrepublik China. Mit einem Gesamtexport von 424 Millionen und Importen von 342 Millionen Dollar wies das Land 2015 einen Handelsbilanzüberschuß aus (s. http://atlas.media.mit.edu/en/profile/country/eri/). Laut deutschen Auswärtigen Amt nimmt die Volksrepublik China in dem Land, das es bereits während seines Befreiungskrieges unterstützt hatte, eine politisch und wirtschaftlich (Bau-, Telekommunikations-, Gesundheits- und Bergbausektor) herausgehobene Stellung ein.

 

[8] Eine zentrale Rolle beim Aufbau Eritreas spielt der Nationale Sozialdienst. Er dient der nationalen Verteidigung, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und der Integration der Bevölkerung mit ihren neun verschiedenen Ethnien. Er dauert insgesamt18 Monate. An eine militärische Ausbildung von 6 Monaten schließt sich ein Zivildienst an, der u.a. bei staatlichen Bauprojekten, Bau von Staudämmen, dem Anlegen von Brunnen, der Aufforstung, in Landwirtschaft und Bergbau, Gesundheits- und Bildungswesen geleistet wird. Angesichts der anhaltenden Bedrohungen durch das 15fach bevölkerungsreichere Äthiopien kommt es auch zu wiederholten bzw. längeren Einberufungen. Wegen seiner großen Bedeutung für den Aufbau des Landes, die aus eigener Kraft erfolgt, steht der Nationale Sozialdienst im Mittelpunkt der Verleumdungen.

 

[9] Die „bereinigte Gesamtschutzquote“ betrug 2016 in der Bundesrepublik Deutschland für Flüchtlinge aus Eritrea 99,3 %. Die besonders begehrte Rechtsstellung als Flüchtling (§ 3 Abs.1AsylG, Art. 16aGG ) mit Aufenthaltsrecht für drei Jahre, unbegrenzten Arbeitsmarktzugang und Anspruch auf privilegierten Familiennachzug erhielten 81%. Für Flüchtlinge aus dem Kriegsland Afghanistan betrug die „bereinigte Gesamtschutzquote zum Vergleich nur 60,5%. Die Rechtsstellung als Flüchtling erhielten nur 22%. (siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Bundesdrucksache Nr. 18 – 11262 vom 21.02.2017).

 

Dieser Text wurde zuerst am 14.10.2017 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/eritrea-ein-stern-in-der-nacht-afrikas> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

Eritrea – ein Stern in der Nacht Afrikas

Von Published On: 23. Dezember 2017Kategorien: Allgemein

Nach Auffassung des italienischen Journalisten und Dokumentarfilmers Fulvio Grimaldi soll die besonders großzügige Asylgewährung Italiens für Eritreer das Land gezielt seiner jungen Generation berauben und es in seiner Entwicklung behindern. Eine vergleichbare Politik verfolgen EU und Bundesregierung nach Fulvio Grimaldi gegenüber Eritrea. Die säkulare Regierung des Landes, in dem neun verschiedene Ethnien, Christen und Moslems friedlich zusammenleben, sieht sich wegen ihrer eigenständigen Politik seit Jahren mit Wirtschaftssanktionen und Aggressionen durch das benachbarte und von den USA dabei unterstützte Äthiopien konfrontiert.

 

Die Asylpolitik ist integraler Bestandteil der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Sie wird nicht von humanitären Überlegungen bestimmt, sondern richtet sich nach den Zielen, welche die Bundesregierung gegenüber den jeweiligen Herkunftsländer verfolgt. Das wichtigste Kriterium für die Behörden, wie schnell der Antrag eines Flüchtlings auf Asyl zu bearbeiten und wie er zu entscheiden ist, ob und wie schnell der Flüchtling Zugang zu notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen und dem Arbeitsmarkt erhält, ist deshalb sein Herkunftsland.

 

Die Bundesregierung weiß genau, dass der Verlust vieler gut ausgebildeter Arbeitskräfte zur Destabilisierung eines Landes beitragen und seine Entwicklung verhindern kann. Von dieser Erkenntnis hat sie sich bei ihrer Politik gegenüber der ihr verhassten früheren DDR stets leiten lassen. Sie hat deshalb dafür gesorgt, dass DDR-Bürgern aus ihrer Flucht in die Bundesrepublik keine materiellen Nachteile entstanden, beispielsweise wegen Beiträgen für ihre Altersversorgung, die sie in der DDR geleistet und nicht in die westdeutschen Rentenkassen eingezahlt hatten.

 

Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ende 2014 beschloss, Asylverfahren von syrischen Antragstellern „ab sofort prioritär in einem vereinfachten Verfahren“ ohne mündliche Anhörung nur auf der Grundlage eines Fragebogens in einer „angestrebten Verfahrensdauer von 11 Tagen“ zu bearbeiten [1] und schließlich die Bundeskanzlerin im August 2015 entschied, das Dublin-Verfahren zeitweise und ausschließlich für Syrer auszusetzen, lagen ähnliche Motive vor.

 

Mit der Zusage, syrischen Flüchtlingen ohne Einzelfallprüfung in kürzester Zeit die Anerkennung als Asylbewerber mit Anspruch auf Familienzusammenführung, notwendiger Weiterqualifizierung und Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland zu geben, sollte dem syrischen Staat in einer äußerst kritischen Phase Zehntausende an gut ausgebildeten Fachkräften und dringend benötigten Rekruten entzogen und sein Zusammenbruch beschleunigt werden [3].

 

Eine vergleichbare Politik verfolgen EU und Bundesregierung nach Auffassung des italienischen Journalisten und Dokumentarfilmers Fulvio Grimaldi gegenüber Eritrea. Die säkulare Regierung des Landes, in dem neun verschiedene Ethnien, Christen und Moslems friedlich zusammenleben, sieht sich wegen ihrer eigenständigen Politik seit Jahren mit Wirtschaftssanktionen und Aggressionen durch das benachbarte und von den USA dabei unterstützte Äthiopien konfrontiert.

 

Nach Auffassung von Fulvio Grimaldi soll die besonders großzügige Asylgewährung für Eritreer das Land gezielt seiner jungen Generation berauben und es in seiner Entwicklung behindern. Nachfolgend das Interview mit dem Titel „Eritrea – wozu Italien der Mut fehlt“(4), das Grimaldi dem italienischen Journalisten Cesare Germoglio im Juli 2017 gegeben hat. Grimaldi kennt das Land bereits seit 1971. Damals hat er Kämpfer der eritreischen Befreiungsfront zur Zeit der äthiopischen Besatzungsmacht über Monate hinweg begleitet. Im Spätherbst möchte er mit seinem neuen Film „Eritrea, a star in the night of Africa“ nach Deutschland kommen.

Interview

Frage: Herr Grimaldi, worin besteht die Sonderstellung Eritreas innerhalb Afrikas und insbesondere hinsichtlich seiner Beziehungen zum Westen?

 

Fulvio Grimaldi: Wenn man sich mit der Situation in Eritrea auseinandersetzt, sollte man immer die Gesamtentwicklung auf dem afrikanischen Kontinent im Auge haben. Afrika erlebt derzeit massive Angriffe vieler Mächte, die erkannt haben, dass sich dort für die Zukunft ein großes ökonomisches Potential und Möglichkeiten für unschätzbare Bereicherung befinden. Afrika hat eine ganze Reihe korrupter Regierungen, die einem neuen Kolonialismus die Türen geöffnet haben. Deshalb bestehen auch unter politischen und sozialen Gesichtspunkten die Voraussetzungen, Einfluss zu nehmen und davon zu profitieren. Dieser neue Kolonialismus wird mit erneuter Kraft im Wesentlichen von den alten früheren Kolonialmächten vorangetrieben. Zusätzlich sind jetzt noch die USA in der ersten Reihe ganz vorne mit dabei.

 

Von dieser allgemeinen Entwicklung setzt sich Eritrea ein wenig ab. Es nimmt eine Sonderrolle ein, unterscheidet sich von der Mehrheit der afrikanischen Staaten, indem es sich dem Diktat der internationalen politischen und Finanzinstitutionen nicht unterwirft. Das hat dem Land natürlich die Feindschaft der westlichen Mächte gebracht, die von einer massiven feindseligen Medienkampagne begleitet wird. Der Grund: Dieses Land entspricht nicht der gewünschten Vorstellung, dass sich die Regierungen der südlichen Welt unterzuordnen haben. Als einziges afrikanisches Land neben Zimbabwe akzeptiert es keinerlei militärische Präsenz der USA auf dem eigenen Territorium. Das Klima, das sich gegen Eritrea gebildet hat, hatte verschiedene Folgen: unter anderem die Sanktionen, welche die UN 2009 beschlossen haben.

 

Frage: Wie kritisch ist aktuell die politische und wirtschaftliche Situation Eritreas?

 

Fulvio Grimaldi: Die Sanktionen von 2009 haben die Lage mit Sicherheit verschlechtert. Bei der Beurteilung der Lage darf man allerdings nicht vergessen, dass Eritrea einen Befreiungskrieg hinter sich hat, der über 30 Jahre angedauert hat. Die Sanktionen erschweren es Eritrea, für andere Länder zu einem Wirtschaftspartner zu werden, ohne dass diese ihrerseits sanktioniert und isoliert werden.

 

Dennoch sieht die Realität anders aus, als die Medien mit ihrer Propaganda sie uns verkaufen wollen: Ein Land, das Geisel einer Diktatur sei. Diese wäre die Ursache für extreme Armut, der die Bevölkerung auf jegliche Weise zu entfliehen versuche. Die Sozialpolitik des Landes ist auf eine gleichmäßige Verteilung des Reichtums ausgerichtet, so dass Hunger und Elend beseitigt werden. Es handelt sich um ein Modell sozialer und ökologischer Gerechtigkeit [5]. Wegen seiner Ausstrahlungskraft kann dieses Modell aus der Sicht der räuberischen Interessen des neuen Kolonialismus nur Hass hervorrufen.

 

Frage: Welche Ursachen hat der große Zufluss von Flüchtlingen aus Eritrea nach Europa?

 

Fulvio Grimaldi: Dafür sind wirtschaftliche und nicht politische Probleme entscheidend. Die internationalen Sanktionen haben die Entwicklung erheblich behindert. In den Jahren nach der Befreiung 1991 bis zur äthiopischen Aggression 1998–2000 [6], die im Auftrag der USA erfolgte, gehörten die Wachstumsraten Eritreas zu den höchsten in Afrika.

 

Ich habe Eritrea wiederholt bereist. Extremes Elend und Hunger, die man in vielen anderen Ländern auf dem Kontinent findet, habe ich nicht angetroffen. Das ist das Verdienst der Regierung. Für sie hat die eigenständige Versorgung und die Unabhängigkeit von den internationalen Organisationen absolute Priorität [7]. Das ist Ergebnis einer Politik, welche die Grundversorgung der Bevölkerung an die oberste Stelle setzt und wodurch es folglich nur geringe Ungleichheiten gibt. Obwohl das Land mit schwierigen Problemen konfrontiert ist, mit Angriffskriegen, wirtschaftlicher und diplomatischer Isolierung, dem Mangel an Handelsaustausch – außer mit einigen arabischen Ländern, die sich um die internationalen Sanktionen nicht kümmern [8] –, ist in allen Teilen Eritreas keine extreme Armut zu sehen. Diese Isolierung des Landes verhindert jedoch, dass der Arbeitsmarkt der jungen Generation ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen kann und hat einen beachtlichen Strom an Auswanderern geschaffen. In den Statistiken wird die Emigration zudem durch einen zusätzlichen Faktor aufgebläht. Weil die Kolonialmächte das Land seiner besten Kräfte berauben wollen, wird Flüchtlingen aus Eritrea – und nur ihnen – in Europa automatisch Asyl gewährt [9]. Deshalb behaupten auch viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern Äthiopien, Ghibuti und Somalia, die große ethnische, sprachliche und kulturelle Nähe aufweisen, die eritreische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Sie möchten dadurch Rechte erhalten, die ihnen andernfalls nicht gewährt würden. Ein weiterer Faktor ist der natürliche Wunsch nach Familienzusammenführung mit der ersten Generation eritreischer Flüchtlinge, die in unser Land [gemeint ist Italien; Red.] vor allem in den 70er Jahren gekommen sind. Sie waren vor den Bombardierungen und der Repression durch das Regime in Äthiopien geflohen.

 

Frage: Der eritreische Außenminister hat vor kurzem großes Interesse an der Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen und der Beziehungen zu Unternehmen der früheren italienischen Kolonialmacht gezeigt. Er hat in unserem Land allerdings kein aufmerksames Gehör gefunden. Sollte es tatsächlich so sein: Welche Chancen verspielen wir damit?

 

Fulvio Grimaldi: Es ist mit Sicherheit so. Das ist eine große historische Schande für Italien, das gegenüber Eritrea eine gewaltige Schuld hat. Wir waren eine ausgeprägt räuberische Kolonialmacht, ziemlich rücksichtslos und mit einer Politik, die an die Apartheid in Südafrika erinnert. Sicher haben wir auch zu einer gewissen Entwicklung des Landes im Bereich Städtebau, Landwirtschaft und der Leichtindustrie beigetragen, aber immer und in erster Linie zum Nutzen der bürgerlichen italienischen Klassen, welche die Kolonialisierung betrieben haben. Die einheimische Bevölkerung hatte keinen Zugang zu höheren Bildung, sie durfte keine höhere als die 4. Klasse der Grundschule besuchen, sie hatte innerhalb der eigenen Ghettos zu bleiben und nur Zugang zu den niedrigsten Arbeiten.

 

Alle Regierungen der Nachkriegszeit sind dafür verantwortlich, dass Eritrea die ihm geschuldeten und auch nützlichen Beziehungen von Freundschaft und Zusammenarbeit verweigert wurden. Angesichts der großen geostrategischen und geoökonomischen Möglichkeiten, die Eritrea mit seiner zentralen strategischen Lage am Roten Meer und der Meeresenge von Bab-el-Mandeb bietet, ist eine solche Politik gegen unsere eigenen Interessen gerichtet. Bab-el-Mandeb öffnet den Weg nach dem Osten, ist eine Art Brücke zwischen dem Mittleren Osten, Asien, Europa und Afrika. Abgesehen davon ist Eritrea reich an natürlichen Ressourcen.

 

Weil wir uns den multinationalen Konzernen und westlichen Machtzentren unterwerfen, haben wir nicht den Mut und die Kraft gehabt, unsere Möglichkeiten für eine privilegierte Partnerschaft mit einem Land wahrzunehmen, das eine Schlüsselrolle am Horn von Afrika spielt, und daraus Vorteile zu ziehen. Es sind das die gleichen Kräfte, die den Sturz von Ghaddafi in Libyen verursacht haben, einem anderen Land, mit dem Italien privilegierte wirtschaftliche Beziehungen, vor allem im Energiebereich, hatte. Indem wir uns dem Vernichtungskrieg, den Frankreich, USA und Nato in Gang gesetzt hatten, angeschlossen haben, haben wir nicht nur den Frieden in unserer Region und die weitere Existenz dieses großen Landes in Gefahr gebracht, sondern auch unseren eigenen Interessen einen Schaden zugefügt, der vielleicht nie mehr gut zu machen ist. Unsere Positionen haben andere übernommen.

 

Frage: Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Italien und Eritrea würde doch gut zu der bekannten Forderung des „Helfen wir ihnen zuhause vor Ort!“ passen. Wir stark könnte sie zur Eindämmung der Migrationsströme beitragen?

 

Fulvio Grimaldi: Bereits die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen würde die Migration junger Eritreer nach Europa auf eine vernachlässigbare Größe reduzieren. Deshalb sollten wir aufhören, zu versuchen, anderen Ländern unsere Modelle politischer und institutioneller Ordnung aufzuzwingen. Die Geschichte zeigt, dass der Westen unter diesem Vorwand und mit dem Vorwand, die Menschenrechte zu verteidigen, mehrfach ein Desaster angerichtet hat, anstatt Probleme zu lösen.

 

Im Kern: Um ihnen zu Hause zu helfen, um zu verhindern, dass Eritrea und Afrika ihrer jungen Generationen, ihrer besten Kräfte, ihrer Zukunft beraubt werden und damit sich die afrikanischen Länder nicht schutzlos für die koloniale Ausplünderung zur Verfügung stellen müssen, müsste man nur aufhören, ihnen diktieren zu wollen, was sie zu tun haben. Ihre Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit muss respektiert werden. Zusammenarbeit unter Respektierung ihrer Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit.

 

Anmerkungen:

[1] Seit 2011 hat die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene umfassende Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Syrien durchgesetzt. Sie sollen erklärtermaßen die Wirtschaft dieses Landes lahmlegen und seine Bevölkerung ins Elend und zum Aufstand gegen die eigene Regierung treiben. Ihre Wirkung auf Energie- und Lebensmittelversorgung, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen wird durch gezielte Angriffe auf lebenswichtige Versorgungseinrichtungen durch ISIS und Al Nusra noch verstärkt.Trotz der Not der syrischen Bevölkerung und obwohl die Sanktionen selbst die Arbeit von Hilfsorganisationen weitgehend verhindern, weigert sich die Bundesregierung bis heute, die Sanktionen aufzuheben. Auch daran wird deutlich, dass es ihr zum keinen Zeitpunkt um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der syrischen Bevölkerung ging.

 

[2] Mit seinem Beschluss <http://www.frsh.de/fileadmin/beiboot/BB20/BB-20-6-Anlage.pdf> ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Entscheidung der Innenminister von Bund und Länder vom 17.10.2014 nachgekommen, die Bearbeitung von Asylanträgen von Flüchtlingen aus „extrem unsicheren Herkunftsländern“ zu beschleunigen, weil diese „grundsätzlich und möglichst schnell ihre Anerkennung erhalten sollen“. Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch der Artikel „Ansturm auf die Botschaft“ in Spiegel Online vom 14.8.15 <http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-138148066.html>.

 

[3] Nach dem Fall von Idleb im März und von Palmyra im Mai 2015 schien der Zusammenbruch des völlig erschöpften syrischen Staates nur noch eine Frage von wenigen Wochen zu sein. Der Korrespondent Christoph Ehrhardt überschrieb seinen Bericht in der FAZ vom 19.9.2015 jubelnd: „Assads Armee gehen die Männer aus“. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, wollte die durch Bewaffnung von Terrorgruppen und Sanktionen von den Nato-Staaten selbst verursachte Flüchtlingswelle analog wie 1999 im Kosovo zum Vorwand für ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr nehmen. „Wer sich dazu nicht aufrafft, darf sich nicht wundern, wenn weitere hunderttausende oder Millionen Flüchtlinge bei uns landen.“ (Spiegel Online, 15.9.2015). Das Eingreifen der russischen Luftwaffe seit dem am 30. September 2015 hat den Plänen für einen „regime-change“ in Damaskus einen Strich durch die Rechnung. Seitdem nimmt die Bundesregierung ihre „Großzügigkeit“ gegen Flüchtlingen aus Syrien schrittweise zurück.

 

[4] Das Original-Interview findet sich auf dem Blog von Fulvio Grimaldi: <http://fulviogrimaldi.blogspot.de/2017/07/eritrea-la-dove-litalia-non-ha-coraggio.html>

 

[5] Laut dem UN Health Milennium Development Goals Report von 2014 hat Eritrea seit seiner Unabhängigkeit beeindruckende Erfolge im Gesundheitswesen erreicht: Die Kindersterblichkeit bei unter 5-Jährigen konnte von 150 (1990) auf 50 (2013), die Müttersterblichkeit von 1700 auf 380 bei 100.000 Geburten reduziert werden. Außergewöhnliche Erfolge hat das Land bei der Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malariaerkrankungen vorzuweisen. In seinem Film zu Eritrea verweist Fulvio Grimaldi auch auf folgende Zahlen: Durchschnittliche Lebenserwartung 68 Jahre (2016) gegenüber 49 Jahre 1993, Alphabetisierungsrate 82% (2016) gegenüber 20% (1991), Zugang zu sauberen Trinkwasser 80% (2014) gegenüber 30% 1991, Anbindung an das Stromnetz 38% (2014) gegenüber 20% (1991). Über große Fortschritte in der Stellung und den Rechten der Frauen berichtet Eritrea-Kenner Hans-Ulrich Stauffer in seinem Buch „Eritrea – der zweite Blick“: Klitorisbeschneidung wurde 2007 verboten und unter Strafe gestellt. Das Heiratsalter wurde auf 18 Jahre festgesetzt. Eine Ehe kann auf Antrag von Mann oder Frau geschieden werden. Der bezahlte Schwangerschaftsurlaub beträgt mittlerweile 60 Tage. Der Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung und sowie Gefährdung der Gesundheit der Frau wurde legalisiert. Frauen besetzen inzwischen 3 von 17 Ministerposten (ebenda, Seite 191/2)

 

[6] Äthiopien weigert sich bis heute, die Grenzlinie zu Eritrea anzuerkennen und hält unverändert Teile seines Nachbarlandes besetzt, wie auch die regierungsnahe „Stiftung Wissenschaft und Politik“ bestätigt. Es gilt jedoch als enger Verbündeter des Westens im „Krieg gegen den Terror“. „Bei Repressionen, Menschenrechtsverletzungen und antidemokratischen Maßnahmen der Regierung drückt man zumeist ein Auge zu“, so verständnisvoll die Stiftung (SWP-Aktuell 64, Juli 2015).

 

[7] Wichtigster Handelspartner Eritreas ist heute die Volksrepublik China. Mit einem Gesamtexport von 424 Millionen und Importen von 342 Millionen Dollar wies das Land 2015 einen Handelsbilanzüberschuß aus (s. http://atlas.media.mit.edu/en/profile/country/eri/). Laut deutschen Auswärtigen Amt nimmt die Volksrepublik China in dem Land, das es bereits während seines Befreiungskrieges unterstützt hatte, eine politisch und wirtschaftlich (Bau-, Telekommunikations-, Gesundheits- und Bergbausektor) herausgehobene Stellung ein.

 

[8] Eine zentrale Rolle beim Aufbau Eritreas spielt der Nationale Sozialdienst. Er dient der nationalen Verteidigung, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und der Integration der Bevölkerung mit ihren neun verschiedenen Ethnien. Er dauert insgesamt18 Monate. An eine militärische Ausbildung von 6 Monaten schließt sich ein Zivildienst an, der u.a. bei staatlichen Bauprojekten, Bau von Staudämmen, dem Anlegen von Brunnen, der Aufforstung, in Landwirtschaft und Bergbau, Gesundheits- und Bildungswesen geleistet wird. Angesichts der anhaltenden Bedrohungen durch das 15fach bevölkerungsreichere Äthiopien kommt es auch zu wiederholten bzw. längeren Einberufungen. Wegen seiner großen Bedeutung für den Aufbau des Landes, die aus eigener Kraft erfolgt, steht der Nationale Sozialdienst im Mittelpunkt der Verleumdungen.

 

[9] Die „bereinigte Gesamtschutzquote“ betrug 2016 in der Bundesrepublik Deutschland für Flüchtlinge aus Eritrea 99,3 %. Die besonders begehrte Rechtsstellung als Flüchtling (§ 3 Abs.1AsylG, Art. 16aGG ) mit Aufenthaltsrecht für drei Jahre, unbegrenzten Arbeitsmarktzugang und Anspruch auf privilegierten Familiennachzug erhielten 81%. Für Flüchtlinge aus dem Kriegsland Afghanistan betrug die „bereinigte Gesamtschutzquote zum Vergleich nur 60,5%. Die Rechtsstellung als Flüchtling erhielten nur 22%. (siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Bundesdrucksache Nr. 18 – 11262 vom 21.02.2017).

 

Dieser Text wurde zuerst am 14.10.2017 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/eritrea-ein-stern-in-der-nacht-afrikas> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0