Journalistin Tina Goebel:

Journalismus als PR-Waffe der Industrie

Von Published On: 24. Oktober 2016Kategorien: Allgemein

Zum Thema eines zweiten „Stummen Frühlings“ hatten die NachDenkSeiten bereits vor einiger Zeit darüber berichtet, wie kritische Forschung, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet sieht, immer stärker unter Beschuss gerät. Im Interview mit Jens Wernicke berichtet die österreichische Journalistin Tina Goebel nun von ähnlichen Entwicklungen im Bereich der Mobilfunkindustrie, die seit Jahren alle wissenschaftlichen Belege zu den von ihren Produkten ausgehenden Gesundheitsgefahren unterdrückt – und von der Kollaboration der meisten Medien hierbei.  

 

Jens Wernicke: Frau Goebel, Sie haben als Journalistin für das österreichische Magazinprofil gearbeitet und arbeiten nun unter anderem als Nachrichtenredakteurin für den Privatfernsehsender PULS 4. Sie haben, will es scheinen, im Gegensatz zu einer größer werdenden Anzahl unserer Kolleginnen und Kollegen den Journalistenkodex noch nicht ad acta gelegt, nach welchem nicht nur Informationen stets noch einmal zu überprüfen sind, sondern immer auch „die andere Seite“ zu Wort kommen muss. Das hat schließlich anlässlich eines „Medizinskandals“, der vor einigen Jahren mehr oder minder die gesamte Welt erschütterte, dazu geführt, dass Sie die Artikel der Mainstream-Medien kritisch hinterfragt und sich dann in einer eigenen Darstellung, der kurz darauf eine zweite folgte, gegen die Manipulation der öffentlichen Meinung gewandt haben. Was war geschehen?  

 

Tina Goebel: Da muss ich ein bisschen ausholen: Es war das Jahr 2008, da brach der sogenannte Wiener Handystudien-Skandal los. An der Medizinischen Universität Wien wurde im Rahmen eines EU-weiten Projekts erforscht, ob Handystrahlen für den Menschen schädlich sind. Und tatsächlich haben die Forscher damals herausgefunden, dass elektromagnetische Strahlen die DNA in den Zellen schädigen kann. Eine Zelle kann sich zwar selbst reparieren, macht sie dabei jedoch einen Fehler, so kann sie sich in eine Krebszelle verwandeln. Dieser Befund hat natürlich dementsprechend für Aufsehen gesorgt, schließlich sind wir heutzutage mit unseren Smartphones fast verwachsen und wollen alle wissen: Kann ich durch diese Strahlung nun krank werden oder nicht? Doch dann kam der Knalleffekt: Die Studien waren angeblich gefälscht! Eine Laborantin hatte die Ergebnisse angeblich hingetrickst!  

 

Jens Wernicke: Welche Medien genau hatten mit welchen Argumenten das Feuer auf die Forscher eröffnet?  

 

Tina Goebel: Das war damals vor allem der Spiegel. Was mich an dieser Berichterstattung etwas fassungslos gemacht hat: Es wurde wild über das Motiv der Laborantin spekuliert. Weil das war natürlich die Frage: Warum sollte sie das tun? Frau K. wurde wild durch den Dreck gezogen. Sie wurde als verrückt bezeichnet und liebestoll, sie sei in ihren Professor verliebt gewesen und hätte aus Liebe zu ihm die Studie gefälscht, damit er dadurch berühmt würde, da ein solches Ergebnis natürlich weltweit für Aufsehen sorgen würde… Das war natürlich alles Quatsch! Ich bin, glaube ich, die einzige Journalistin, die Frau K. jemals getroffen hat. Sie hat einen sehr bodenständigen und gar nicht verwirrten Eindruck auf mich gemacht. Und ich kenne natürlich auch ihren Arbeitgeber: Die beiden passen zusammen wie Katz und Maus. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Verhältnis der beiden jemals über ein rein professionelles hinausgegangen ist. Und auch wenn schon: Es handelt sich hier um reinen Sexismus. Wäre es hier um einen jungen Mann gegangen – wäre hier auch gleich so unter der Gürtellinie spekuliert worden?  

 

Jens Wernicke: Und an den vorgebrachten Beschuldigungen, die Studie sei manipuliert worden, ist nach Ihren Recherchen also nichts dran? Wie stellt die Sache sich für Sie stattdessen dar?  

 

Tina Goebel: Mein Glück damals war, dass ich an dem Thema schon länger recherchiert hatte und die Protagonisten daher schon kannte. Als dann der Fälschungsskandal losbrach, habe ich mich zunächst gewundert, mit welcher Aggressivität und fast Schadenfreude jene, die „schon immer gesagt haben, dass diese Ergebnisse einfach nicht stimmen können“, auftraten und sofort gefordert haben, dass die Studien unverzüglich zurückgezogen werden müssen – ohne, dass vorher etwa eine Kommission überprüft hätte, ob die Vorwürfe überhaupt berechtigt sind oder nicht. Und da habe ich dann zu graben begonnen und festgestellt, dass jenen Forschern, die hier sofort wild herumgepoltert haben, eine gewisse Nähe zu Mobilfunklobbyisten nicht abgesprochen werden konnte. Und dann habe ich weiter recherchiert und ein sehr interessantes Buch entdeckt: David Sedaris „Doubt is their product“.

 

Herr Sedaris ist US-Amerikaner und hat unter Bill Clinton im Gesundheitsministerium gearbeitet. Dort hat er eine interessante Beobachtung gemacht: Forschung, die in irgendeiner Weise einer Industrie schadet, wird interessanterweise immer sofort von sogenannten „Experten“ kritisiert. Er hat ein Muster aufgedeckt, dass sich auch genauso beim Wiener Handystudienskandal finden ließ: Bei industriekritischer Forschung treten sofort andere „Wissenschaftler“ auf, die Zweifel sähen und die Statistik oder Methodik kritisieren. Natürlich ist das oft auch berechtigt, aber es gibt eben auch Forscher, die stehen auf der Payroll der Industrie und betreiben nichts anderes als, ja, wenn Sie so wollen: Auftrags-Rufmord. Und, dass die Studien keineswegs gefälscht sind, das ist spätestens jetzt in einer Wiener Nachfolgestudie belegt worden.

 

Nun wissen die Forscher auch, dass freie Radikale schuld daran sind, dass bei einer elektromagnetischen Exposition die DNA-Stränge in einer Zelle brechen! Aber das Forum Mobilkommunikation, das ist die freiwillige Interessensvertretung der Mobilfunkbranche in Österreich, sieht das natürlich anders. Sie haben sich die Daten angesehen und anders „interpretiert“. Sie meinen, die Daten würden ja nur bestätigen, dass Strahlung nicht schädlich sei und es sei daher reine Panikmache, wenn man den Menschen zu einem sorgsameren Umgang rät. Aber warten wir erst einmal ab, welche „kritischen Stimmen“ sich noch gegen diese Studie erheben werden. Wir dürfen wohl getrost davon ausgehen, dass die mediale und PR-mäßige Offensive gewaltig sein wird.  

 

Jens Wernicke: Wie kommt es, dass derlei konzertierte Angriffe auf die Glaubwürdigkeit kritischer Forschung medial so immense Verbreitung finden? Handeln einige unserer Kollegen hier … als Auftragsschreiber für die Großindustrie, die bei diesem wie ähnlichen Fällen viel zu verlieren hat?  

 

Tina Goebel: Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es so viele korrupte Journalisten gibt, die als Handlanger der Industrie arbeiten. Es ist vielmehr der ohnehin schon prekären Situation im Journalismus geschuldet: Es bleibt immer weniger Zeit für Recherche. Und gerade wissenschaftliche Studien sind oft hunderte Seiten umfangreich und schwer zu verstehen. Bei vielen braucht es auch fundierte Fachkenntnisse, um diese Arbeiten wirklich begreifen zu können. Im Grunde läuft Journalismus heute so ab: Wir fragen einfach Experten nach ihrer Meinung. Und wenn es seriös hergeht, dann wird vielleicht noch eine konträre Stimme eingeholt. Wenn keine Zeit bleibt, dann wird einfach die Google-Recherchemaschine angeworfen und ein Exzerpt aus den Artikeln zusammengeschustert, die da so in der Suchabfrage auftauchen. Und oft ist da nicht mehr klar ersichtlich, ob es sich hier um seriösen Journalismus oder einen PR-Artikel handelt. Außerdem müssen wir bedenken: In Zeiten wie diesen wird immer mehr Forschung von der Industrie bezahlt, die unabhängige Forschung nimmt ab. Da muss man oft genau auf den Auftraggeber einer Studie schauen! Es ist oft einfach, eine Studie so zu designen, dass die Ergebnisse der Industrie passen.

 

Zum Beispiel bei der Handystrahlung: Man weiß, dass manche Zellen gar nicht auf Strahlung reagieren. Da mache ich doch eine Studie, bestrahle solche Zellen Tag und Nacht und hab dann ein schönes Ergebnis und kann sagen: „Zellen reagieren nicht auf Strahlung! Da haben wir es schwarz auf weiß!“ Oder erinnern wir uns einmal kurz an den VW-Abgasskandal! Wir haben hier eindrucksvoll vor Augen geführt bekommen: Die Bedingungen, unter denen Autos getestet werden, haben nichts mit realem Fahrverhalten zu tun. Und genügt das nicht, dann wird auch noch bewusst manipuliert. Und die Autobranche ist bestimmt nicht die einzige, in der so getrickst wird. Malen Sie sich doch mal aus, was da in der Pharma- oder Lebensmittelindustrie passiert! Außerdem bemerke ich im Wissenschaftsjournalismus oft, dass Journalisten, die sich selbst als absolut objektiv und kritisch bezeichnen, leider manchmal selbst gewissen Trends auf den Leim gehen. Im Falle der Handystrahlen sehe ich zum Beispiel, dass viele Journalisten einfach relativ unreflektiert die Besorgnis über die gesundheitsschädliche Auswirkung von Handystrahlen mit Chemtrails oder ähnlichen Verschwörungstheorien gleichsetzen. Sie beschäftigen sich nicht damit, für sie ist das Thema einfach schon von vornherein lächerlich.

 

Und ich glaube, dass diese Einstellung auch den Bemühungen der Industrie im Hintergrund geschuldet ist, die sich dann leise ins Fäustchen lacht. Aber ich muss da leider auch dazu sagen: Es laufen wirklich viele Verrückte herum, die das Thema in den Bereich der esoterischen Verschwörungstheorien rücken! Bei mir haben sich etwa Menschen gemeldet, die im Keller schlafen, da bis dorthin die böse Strahlung ja nicht durchdringen kann. Ein anderes Mal war ich auf einer Ärztetagung zu dem Thema und da waren auch sehr viele sogenannte Elektrosensible im Publikum, die sogar Terror gemacht haben, dass bitte keiner der Vortragenden den Videobeamer benutzt, da für diesen eine Fernbedienung erforderlich ist und diese ja auch Funkwellen ausstrahlt. Und auch die Neonröhren würden die Menschen verstrahlen und so saßen irgendwann alle im Dunkeln. Wer so etwas erlebt hat, hat da schon Vorbehalte.  

 

Jens Wernicke: Sagt Ihnen in diesem Zusammenhang das sogenannte „War Game Memo“ der Mobilfunkindustrie etwas?  

 

Goebel: Natürlich. Das „War Game Memo“ ist eine PR-Strategie, von deren effektiver Wirkung ich mich schon einige Mal selbst überzeugen durfte. Werden Forschungsergebnisse publiziert, die einem gewissen Markt schaden könnten, so wird zunächst mal die Methodik angezweifelt oder die Statistik. Funktioniert das nicht, so wird den besagten Forschern ein toller Job in der Industrie angeboten und da werden viele schwach – weil diese Positionen einfach oft um ein Vielfaches besser bezahlt sind als in der unabhängigen Forschung. Und Wissenschaftler, die sich nicht kaufen lassen, die werden dann eben auch auf persönlicher Ebene fertiggemacht, das geht oft bis zu Bedrohungen und es gibt inzwischen auch Fälle von offensichtlicher Brandstiftung. Ich habe leider sehr gute Forscher gesehen, die eine kritische Arbeit publiziert haben und dann plötzlich „weg“ waren. Sie hatten plötzlich einen neuen Job und wollten von ihrer alten Arbeit nichts mehr wissen oder meinten plötzlich, dass es da noch weitaus mehr Forschung bedürfe, um wirklich konkrete Aussagen über etwas treffen zu können. Andere Wissenschaftler haben mir auch erzählt, dass kein normal tickender Mensch mehr über elektromagnetische Felder forschen will, da man eben gesehen habe, wie es Kollegen geht, die herausfinden, dass es gesundheitsschädliche Effekte geben könnte…

 

 Jens Wernicke: Aus der Friedensbewegung kennen wir die Stigmatisierung gefährlich werdender seriöser Kritiker bereits. Neu war mir, dass das nun auch hier, in diesem Bereich geschieht, und dann noch so massiv. Ihr eigenes Magazinkritisierte etwa gerade einen der soeben angelaufenen und sachlich fundierten mobilfunkkritischen Kinofilme als „typische Verschwörungstheorie“ – etwas, das Kriegstreiber seit Jahren auch mit Friedensschreibern tun. Wie kommt es dazu, dass sich Journalisten mit einem Thema gar nicht mehr befassen wollen, sondern stattdessen einfach Rede- und Denktabus verhängen, indem sie alle Argumente per se abwerten, die nicht diesen oder jenen Interessen dienlich sind? Das ist doch keine legitime Art der Auseinandersetzung mehr…  

 

Tina Goebel: Ich finde es grundsätzlich gut, dass es auch Debatten unter Journalisten gibt und kenne den betreffenden Kollegen gut, ich habe lange mit ihm zusammengearbeitet und schätze ihn sehr. Wir haben zu dem Thema einfach eine unterschiedliche Meinung. Aber leider gibt es eben wie gesagt gewisse Trends. Ich erinnere mich, dass improfil auch Artikel publiziert wurden, die den Klimawandel als Verschwörungstheorie hingestellt haben. Aber es werden solche Themen dann auch in der Redaktionssitzung kontrovers diskutiert und ich glaube, dass profil eines der wenigen Magazine ist, das manchmal sogar zwei Leitartikel veröffentlicht hat, weil gewisse Redakteure eben zu manchen Themen eine ganz konträre Meinung haben und allen Seiten Gehör geschenkt werden sollte. Und schließlich hat ja auch der Filmemacher Klaus Scheidsteger einenGegenkommentar zu besagtem Artikel in der nächsten Ausgabe schreiben dürfen.

 

Wie gesagt: Das Thema wird leider gerne unreflektiert in die Ecke der Verschwörungstheorien gestellt. Es gibt zum Beispiel auch in Österreich das „goldene Brett“. Das ist eine Veranstaltung, bei der jährlich Menschen ausgezeichnet werden, die Verschwörungstheorien verbreiten oder andere esoterische Schwachsinnigkeiten wie etwa Granda-Wasser oder ähnliches. Diese Kollegen meinen eben, dass es nach heutigem Wissenstand keine klare gesundheitsschädliche Wirkung durch Handystrahlen gibt. Erst wenn es in zehn bis zwanzig Jahren wirklich mehr Hirntumore gibt, die sich auf elektromagnetische Strahlung zurückführen lassen, dann wollen sie es glauben. Im Gegensatz dazu bin ich der Meinung, dass nach heutigem Wissensstand sehr wohl Hinweise – und zwar deutliche – für gesundheitsschädliche Wirkungen vorhanden sind und dass wir lieber präventiv vorgehen sollten. Das ist ja auch die Einstellung der besagten, angegriffenen Forscher. Denn wenn es nur ein klitzekleines Risiko gibt, dann betrifft das bei einer Technik, die so gut wie jeder Mensch in der westlichen Welt benutzt, in Summe wieder wahnsinnig viele. Ich selbst laufe übrigens nicht mit Alufolie am Kopf herum und schlafe auch nicht im Keller. Ich laufe auch ständig mit zwei Handys herum, benutze eines davon als Wecker und werde unrund, wenn ich mein iPhone einmal zu Hause vergesse. Aber sollte ich wirklich eines Tages einen Tumor bekommen, dann kann ich wenigstens sagen: „Ich hätte es besser wissen müssen.“ Und nicht: „Warum habe ich das nicht gewusst?“  

 

Jens Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.

Journalistin Tina Goebel:

Journalismus als PR-Waffe der Industrie

Von Published On: 24. Oktober 2016Kategorien: Allgemein

Zum Thema eines zweiten „Stummen Frühlings“ hatten die NachDenkSeiten bereits vor einiger Zeit darüber berichtet, wie kritische Forschung, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet sieht, immer stärker unter Beschuss gerät. Im Interview mit Jens Wernicke berichtet die österreichische Journalistin Tina Goebel nun von ähnlichen Entwicklungen im Bereich der Mobilfunkindustrie, die seit Jahren alle wissenschaftlichen Belege zu den von ihren Produkten ausgehenden Gesundheitsgefahren unterdrückt – und von der Kollaboration der meisten Medien hierbei.  

 

Jens Wernicke: Frau Goebel, Sie haben als Journalistin für das österreichische Magazinprofil gearbeitet und arbeiten nun unter anderem als Nachrichtenredakteurin für den Privatfernsehsender PULS 4. Sie haben, will es scheinen, im Gegensatz zu einer größer werdenden Anzahl unserer Kolleginnen und Kollegen den Journalistenkodex noch nicht ad acta gelegt, nach welchem nicht nur Informationen stets noch einmal zu überprüfen sind, sondern immer auch „die andere Seite“ zu Wort kommen muss. Das hat schließlich anlässlich eines „Medizinskandals“, der vor einigen Jahren mehr oder minder die gesamte Welt erschütterte, dazu geführt, dass Sie die Artikel der Mainstream-Medien kritisch hinterfragt und sich dann in einer eigenen Darstellung, der kurz darauf eine zweite folgte, gegen die Manipulation der öffentlichen Meinung gewandt haben. Was war geschehen?  

 

Tina Goebel: Da muss ich ein bisschen ausholen: Es war das Jahr 2008, da brach der sogenannte Wiener Handystudien-Skandal los. An der Medizinischen Universität Wien wurde im Rahmen eines EU-weiten Projekts erforscht, ob Handystrahlen für den Menschen schädlich sind. Und tatsächlich haben die Forscher damals herausgefunden, dass elektromagnetische Strahlen die DNA in den Zellen schädigen kann. Eine Zelle kann sich zwar selbst reparieren, macht sie dabei jedoch einen Fehler, so kann sie sich in eine Krebszelle verwandeln. Dieser Befund hat natürlich dementsprechend für Aufsehen gesorgt, schließlich sind wir heutzutage mit unseren Smartphones fast verwachsen und wollen alle wissen: Kann ich durch diese Strahlung nun krank werden oder nicht? Doch dann kam der Knalleffekt: Die Studien waren angeblich gefälscht! Eine Laborantin hatte die Ergebnisse angeblich hingetrickst!  

 

Jens Wernicke: Welche Medien genau hatten mit welchen Argumenten das Feuer auf die Forscher eröffnet?  

 

Tina Goebel: Das war damals vor allem der Spiegel. Was mich an dieser Berichterstattung etwas fassungslos gemacht hat: Es wurde wild über das Motiv der Laborantin spekuliert. Weil das war natürlich die Frage: Warum sollte sie das tun? Frau K. wurde wild durch den Dreck gezogen. Sie wurde als verrückt bezeichnet und liebestoll, sie sei in ihren Professor verliebt gewesen und hätte aus Liebe zu ihm die Studie gefälscht, damit er dadurch berühmt würde, da ein solches Ergebnis natürlich weltweit für Aufsehen sorgen würde… Das war natürlich alles Quatsch! Ich bin, glaube ich, die einzige Journalistin, die Frau K. jemals getroffen hat. Sie hat einen sehr bodenständigen und gar nicht verwirrten Eindruck auf mich gemacht. Und ich kenne natürlich auch ihren Arbeitgeber: Die beiden passen zusammen wie Katz und Maus. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Verhältnis der beiden jemals über ein rein professionelles hinausgegangen ist. Und auch wenn schon: Es handelt sich hier um reinen Sexismus. Wäre es hier um einen jungen Mann gegangen – wäre hier auch gleich so unter der Gürtellinie spekuliert worden?  

 

Jens Wernicke: Und an den vorgebrachten Beschuldigungen, die Studie sei manipuliert worden, ist nach Ihren Recherchen also nichts dran? Wie stellt die Sache sich für Sie stattdessen dar?  

 

Tina Goebel: Mein Glück damals war, dass ich an dem Thema schon länger recherchiert hatte und die Protagonisten daher schon kannte. Als dann der Fälschungsskandal losbrach, habe ich mich zunächst gewundert, mit welcher Aggressivität und fast Schadenfreude jene, die „schon immer gesagt haben, dass diese Ergebnisse einfach nicht stimmen können“, auftraten und sofort gefordert haben, dass die Studien unverzüglich zurückgezogen werden müssen – ohne, dass vorher etwa eine Kommission überprüft hätte, ob die Vorwürfe überhaupt berechtigt sind oder nicht. Und da habe ich dann zu graben begonnen und festgestellt, dass jenen Forschern, die hier sofort wild herumgepoltert haben, eine gewisse Nähe zu Mobilfunklobbyisten nicht abgesprochen werden konnte. Und dann habe ich weiter recherchiert und ein sehr interessantes Buch entdeckt: David Sedaris „Doubt is their product“.

 

Herr Sedaris ist US-Amerikaner und hat unter Bill Clinton im Gesundheitsministerium gearbeitet. Dort hat er eine interessante Beobachtung gemacht: Forschung, die in irgendeiner Weise einer Industrie schadet, wird interessanterweise immer sofort von sogenannten „Experten“ kritisiert. Er hat ein Muster aufgedeckt, dass sich auch genauso beim Wiener Handystudienskandal finden ließ: Bei industriekritischer Forschung treten sofort andere „Wissenschaftler“ auf, die Zweifel sähen und die Statistik oder Methodik kritisieren. Natürlich ist das oft auch berechtigt, aber es gibt eben auch Forscher, die stehen auf der Payroll der Industrie und betreiben nichts anderes als, ja, wenn Sie so wollen: Auftrags-Rufmord. Und, dass die Studien keineswegs gefälscht sind, das ist spätestens jetzt in einer Wiener Nachfolgestudie belegt worden.

 

Nun wissen die Forscher auch, dass freie Radikale schuld daran sind, dass bei einer elektromagnetischen Exposition die DNA-Stränge in einer Zelle brechen! Aber das Forum Mobilkommunikation, das ist die freiwillige Interessensvertretung der Mobilfunkbranche in Österreich, sieht das natürlich anders. Sie haben sich die Daten angesehen und anders „interpretiert“. Sie meinen, die Daten würden ja nur bestätigen, dass Strahlung nicht schädlich sei und es sei daher reine Panikmache, wenn man den Menschen zu einem sorgsameren Umgang rät. Aber warten wir erst einmal ab, welche „kritischen Stimmen“ sich noch gegen diese Studie erheben werden. Wir dürfen wohl getrost davon ausgehen, dass die mediale und PR-mäßige Offensive gewaltig sein wird.  

 

Jens Wernicke: Wie kommt es, dass derlei konzertierte Angriffe auf die Glaubwürdigkeit kritischer Forschung medial so immense Verbreitung finden? Handeln einige unserer Kollegen hier … als Auftragsschreiber für die Großindustrie, die bei diesem wie ähnlichen Fällen viel zu verlieren hat?  

 

Tina Goebel: Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es so viele korrupte Journalisten gibt, die als Handlanger der Industrie arbeiten. Es ist vielmehr der ohnehin schon prekären Situation im Journalismus geschuldet: Es bleibt immer weniger Zeit für Recherche. Und gerade wissenschaftliche Studien sind oft hunderte Seiten umfangreich und schwer zu verstehen. Bei vielen braucht es auch fundierte Fachkenntnisse, um diese Arbeiten wirklich begreifen zu können. Im Grunde läuft Journalismus heute so ab: Wir fragen einfach Experten nach ihrer Meinung. Und wenn es seriös hergeht, dann wird vielleicht noch eine konträre Stimme eingeholt. Wenn keine Zeit bleibt, dann wird einfach die Google-Recherchemaschine angeworfen und ein Exzerpt aus den Artikeln zusammengeschustert, die da so in der Suchabfrage auftauchen. Und oft ist da nicht mehr klar ersichtlich, ob es sich hier um seriösen Journalismus oder einen PR-Artikel handelt. Außerdem müssen wir bedenken: In Zeiten wie diesen wird immer mehr Forschung von der Industrie bezahlt, die unabhängige Forschung nimmt ab. Da muss man oft genau auf den Auftraggeber einer Studie schauen! Es ist oft einfach, eine Studie so zu designen, dass die Ergebnisse der Industrie passen.

 

Zum Beispiel bei der Handystrahlung: Man weiß, dass manche Zellen gar nicht auf Strahlung reagieren. Da mache ich doch eine Studie, bestrahle solche Zellen Tag und Nacht und hab dann ein schönes Ergebnis und kann sagen: „Zellen reagieren nicht auf Strahlung! Da haben wir es schwarz auf weiß!“ Oder erinnern wir uns einmal kurz an den VW-Abgasskandal! Wir haben hier eindrucksvoll vor Augen geführt bekommen: Die Bedingungen, unter denen Autos getestet werden, haben nichts mit realem Fahrverhalten zu tun. Und genügt das nicht, dann wird auch noch bewusst manipuliert. Und die Autobranche ist bestimmt nicht die einzige, in der so getrickst wird. Malen Sie sich doch mal aus, was da in der Pharma- oder Lebensmittelindustrie passiert! Außerdem bemerke ich im Wissenschaftsjournalismus oft, dass Journalisten, die sich selbst als absolut objektiv und kritisch bezeichnen, leider manchmal selbst gewissen Trends auf den Leim gehen. Im Falle der Handystrahlen sehe ich zum Beispiel, dass viele Journalisten einfach relativ unreflektiert die Besorgnis über die gesundheitsschädliche Auswirkung von Handystrahlen mit Chemtrails oder ähnlichen Verschwörungstheorien gleichsetzen. Sie beschäftigen sich nicht damit, für sie ist das Thema einfach schon von vornherein lächerlich.

 

Und ich glaube, dass diese Einstellung auch den Bemühungen der Industrie im Hintergrund geschuldet ist, die sich dann leise ins Fäustchen lacht. Aber ich muss da leider auch dazu sagen: Es laufen wirklich viele Verrückte herum, die das Thema in den Bereich der esoterischen Verschwörungstheorien rücken! Bei mir haben sich etwa Menschen gemeldet, die im Keller schlafen, da bis dorthin die böse Strahlung ja nicht durchdringen kann. Ein anderes Mal war ich auf einer Ärztetagung zu dem Thema und da waren auch sehr viele sogenannte Elektrosensible im Publikum, die sogar Terror gemacht haben, dass bitte keiner der Vortragenden den Videobeamer benutzt, da für diesen eine Fernbedienung erforderlich ist und diese ja auch Funkwellen ausstrahlt. Und auch die Neonröhren würden die Menschen verstrahlen und so saßen irgendwann alle im Dunkeln. Wer so etwas erlebt hat, hat da schon Vorbehalte.  

 

Jens Wernicke: Sagt Ihnen in diesem Zusammenhang das sogenannte „War Game Memo“ der Mobilfunkindustrie etwas?  

 

Goebel: Natürlich. Das „War Game Memo“ ist eine PR-Strategie, von deren effektiver Wirkung ich mich schon einige Mal selbst überzeugen durfte. Werden Forschungsergebnisse publiziert, die einem gewissen Markt schaden könnten, so wird zunächst mal die Methodik angezweifelt oder die Statistik. Funktioniert das nicht, so wird den besagten Forschern ein toller Job in der Industrie angeboten und da werden viele schwach – weil diese Positionen einfach oft um ein Vielfaches besser bezahlt sind als in der unabhängigen Forschung. Und Wissenschaftler, die sich nicht kaufen lassen, die werden dann eben auch auf persönlicher Ebene fertiggemacht, das geht oft bis zu Bedrohungen und es gibt inzwischen auch Fälle von offensichtlicher Brandstiftung. Ich habe leider sehr gute Forscher gesehen, die eine kritische Arbeit publiziert haben und dann plötzlich „weg“ waren. Sie hatten plötzlich einen neuen Job und wollten von ihrer alten Arbeit nichts mehr wissen oder meinten plötzlich, dass es da noch weitaus mehr Forschung bedürfe, um wirklich konkrete Aussagen über etwas treffen zu können. Andere Wissenschaftler haben mir auch erzählt, dass kein normal tickender Mensch mehr über elektromagnetische Felder forschen will, da man eben gesehen habe, wie es Kollegen geht, die herausfinden, dass es gesundheitsschädliche Effekte geben könnte…

 

 Jens Wernicke: Aus der Friedensbewegung kennen wir die Stigmatisierung gefährlich werdender seriöser Kritiker bereits. Neu war mir, dass das nun auch hier, in diesem Bereich geschieht, und dann noch so massiv. Ihr eigenes Magazinkritisierte etwa gerade einen der soeben angelaufenen und sachlich fundierten mobilfunkkritischen Kinofilme als „typische Verschwörungstheorie“ – etwas, das Kriegstreiber seit Jahren auch mit Friedensschreibern tun. Wie kommt es dazu, dass sich Journalisten mit einem Thema gar nicht mehr befassen wollen, sondern stattdessen einfach Rede- und Denktabus verhängen, indem sie alle Argumente per se abwerten, die nicht diesen oder jenen Interessen dienlich sind? Das ist doch keine legitime Art der Auseinandersetzung mehr…  

 

Tina Goebel: Ich finde es grundsätzlich gut, dass es auch Debatten unter Journalisten gibt und kenne den betreffenden Kollegen gut, ich habe lange mit ihm zusammengearbeitet und schätze ihn sehr. Wir haben zu dem Thema einfach eine unterschiedliche Meinung. Aber leider gibt es eben wie gesagt gewisse Trends. Ich erinnere mich, dass improfil auch Artikel publiziert wurden, die den Klimawandel als Verschwörungstheorie hingestellt haben. Aber es werden solche Themen dann auch in der Redaktionssitzung kontrovers diskutiert und ich glaube, dass profil eines der wenigen Magazine ist, das manchmal sogar zwei Leitartikel veröffentlicht hat, weil gewisse Redakteure eben zu manchen Themen eine ganz konträre Meinung haben und allen Seiten Gehör geschenkt werden sollte. Und schließlich hat ja auch der Filmemacher Klaus Scheidsteger einenGegenkommentar zu besagtem Artikel in der nächsten Ausgabe schreiben dürfen.

 

Wie gesagt: Das Thema wird leider gerne unreflektiert in die Ecke der Verschwörungstheorien gestellt. Es gibt zum Beispiel auch in Österreich das „goldene Brett“. Das ist eine Veranstaltung, bei der jährlich Menschen ausgezeichnet werden, die Verschwörungstheorien verbreiten oder andere esoterische Schwachsinnigkeiten wie etwa Granda-Wasser oder ähnliches. Diese Kollegen meinen eben, dass es nach heutigem Wissenstand keine klare gesundheitsschädliche Wirkung durch Handystrahlen gibt. Erst wenn es in zehn bis zwanzig Jahren wirklich mehr Hirntumore gibt, die sich auf elektromagnetische Strahlung zurückführen lassen, dann wollen sie es glauben. Im Gegensatz dazu bin ich der Meinung, dass nach heutigem Wissensstand sehr wohl Hinweise – und zwar deutliche – für gesundheitsschädliche Wirkungen vorhanden sind und dass wir lieber präventiv vorgehen sollten. Das ist ja auch die Einstellung der besagten, angegriffenen Forscher. Denn wenn es nur ein klitzekleines Risiko gibt, dann betrifft das bei einer Technik, die so gut wie jeder Mensch in der westlichen Welt benutzt, in Summe wieder wahnsinnig viele. Ich selbst laufe übrigens nicht mit Alufolie am Kopf herum und schlafe auch nicht im Keller. Ich laufe auch ständig mit zwei Handys herum, benutze eines davon als Wecker und werde unrund, wenn ich mein iPhone einmal zu Hause vergesse. Aber sollte ich wirklich eines Tages einen Tumor bekommen, dann kann ich wenigstens sagen: „Ich hätte es besser wissen müssen.“ Und nicht: „Warum habe ich das nicht gewusst?“  

 

Jens Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.