Umkehr ausgeschlossen

Von Published On: 4. September 2018Kategorien: Allgemein

Noch nie seit der Einführung des Geldes wurden die Zinsen weltweit so lange so niedrig gehalten und noch nie sind derart riesige Geldsummen aus dem Nichts geschaffen und zu so günstigen Konditionen vergeben worden wie seit der Krise von 2007/2008. Mehr als zwanzig Billionen Dollar haben die Zentralbanken bis heute ins weltweite Geldsystem gepumpt und dabei mehr als 700 Mal die Zinsen gesenkt.

Jetzt soll allerdings mit dieser „Politik des billigen Geldes“ Schluss sein. Seit einiger Zeit verkünden Politiker und Zentralbanker rund um den Globus, dass sich die Weltwirtschaft inzwischen stabilisiert habe, sie deshalb das Ruder herumreißen und sich von der „lockeren Geldpolitik“ verabschieden könnten.

Doch geht das? Lässt sich der höchste Schuldenstand in der Geschichte der Menschheit, den wir inzwischen erreicht haben, mit diesem Vorhaben vereinbaren? Werden die zu historischen Höchstständen aufgeblähten Finanzmärkte eine solche Politik ohne Einbrüche überstehen? Ein Blick auf die Entwicklung unseres Wirtschafts- und Finanzsystems im vergangenen halben Jahrhundert hilft diese Fragen zu beantworten.

Der Anfang vom Ende: Die Deregulierung des Finanzsektors

1944 wurden in Bretton Woods die Grundlagen für ein neues globales Finanzsystem gelegt. Es begünstigte die im Zweiten Weltkrieg zur Supermacht aufgestiegenen USA auf eine nie dagewesene Weise, indem es den US-Dollar an das Gold koppelte, ihn zur weltweiten Leitwährung erklärte und der US-Zentralbank Federal Reserve (FED) damit eine in der Geschichte des Geldes einmalige Sonderstellung verschaffte: Sie ist bis heute die einzige Institution, die die weltweite Leitwährung schöpfen darf.

Der Nachkriegsboom, der 1948 einsetzte, sorgte ein Vierteljahrhundert lang dafür, dass die gesamte Welt mit US-Dollars überschwemmt wurde. Das jedoch führte mit der Zeit zu einem zunehmenden Missverhältnis zwischen der umlaufenden Dollarmenge und der in den USA vorhandenen Goldmenge. Da immer mehr Investoren skeptisch wurden und ihre Dollars gegen Gold tauschten, sah sich die US-Regierung unter Präsident Nixon im August 1971 gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Sie entkoppelte den Dollar vom Gold und verwandelte so die durch einen realen Wert gedeckte globale Leitwährung in eine Fiat-(ungedeckte Schein-)Währung.

Wenige Jahre später folgten zwei weitere folgenschwere Ereignisse

Zum einen schlossen die USA ein Geheimabkommen mit Saudi-Arabien, in dem vereinbart wurde, dass Erdöl weltweit nur noch in Dollar verkauft werden durfte. Da alle Staaten der Welt zur Energieerzeugung auf Öl angewiesen sind und seitdem große Mengen an US-Dollar vorhalten müssen, verschaffte der so entstandene Petrodollar der US-Währung neben dem Status als Leitwährung auch noch den der globalen Reservewährung.

Zum anderen ging Mitte der Siebziger Jahre der Nachkriegsboom zu Ende. Die Gewinne der Konzerne sprudelten nicht mehr, die Nachfrage nach Konsumgütern ging zurück und damit auch das Kerngeschäft der Banken, die Kreditvergabe. Die Finanzindustrie, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich an Macht gewonnen hatte, sah sich sofort nach Möglichkeiten um, ihre Erträge trotz schlechterer Bedingungen weiter zu erhöhen. Sie fand schnell einen willfährigen Helfer: Die Politik reagierte umgehend auf die Wünsche der Banker und begann in den Folgejahren, den Finanzsektor durch immer weitergehende gesetzliche Maßnahmen zu deregulieren.

Besonders begünstigt wurden die Großbanken durch die Einführung von Hedgefonds. Bei ihnen handelt es sich um Vermögensverwaltungen für Millionäre und Milliardäre, die wie Banken operieren dürfen, ihren Beschränkungen aber nicht unterworfen sind. Ihre Zulassung hatte zur Folge, dass Banken ihre eigenen Hedgefonds gründeten, um anschließend ganz legal in die Geschäftsbereiche vorzustoßen, die ihnen bis dahin verschlossen waren. Zudem wurden immer neue Derivate (im Grunde nichts anderes als Wetten auf Kurse, Preise oder Zinssätze) aufgelegt. Die daraufhin entstehende Spekulationswelle führte dazu, dass der Finanzsektor in den 90er Jahren geradezu explodierte.

Finanzielle Massenvernichtungswaffen

Ein Derivat – der von der JP-Morgan-Bankerin Blythe Masters Mitte der 90er Jahre entwickelte CDS (credit default swap, zu deutsch: Kreditausfallversicherung) – trieb das Wettgeschäft auf die Spitze: Durch den Erwerb eines CDS konnten auch an einer Kreditvergabe nicht beteiligte Parteien auf den Ausfall eines Kredites wetten. Obwohl vom US-Starinvestor Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ angeprangert, wurden die CDS zum Renner unter den Derivaten – mit verheerenden Folgen.
Als der New Yorker Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) 1998 wegen Fehlspekulationen im Währungshandel ins Trudeln geriet, schlossen informierte Investoren in Windeseile eine große Zahl von Kreditausfallversicherungen auf ihn ab. Als LTCM innerhalb weniger Wochen tatsächlich zahlungsunfähig wurde, standen plötzlich Ausfallzahlungen in Höhe von ca. einer Billion US-Dollar im Raum.

Da diese Summe einige der zur Kasse gebetenen Banken in den Abgrund gerissen hätte, taten sich die größten unter ihnen zusammen und kauften LTCM einfach auf. Die Rettungsaktion kostete sie zwar ca. 4 Milliarden US-Dollar, verhinderte aber ihren Untergang, der möglicherweise über einen Domino-Effekt zum Zusammenbruch des gesamten Systems geführt hätte.

Besonders interessant an diesem ersten Beinahe-Zusammenbruch des globalen Finanzsystems war die Tatsache, dass er in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen wurde – mit der Folge, dass die Politik sich aus der Verantwortung stehlen und so tun konnte, als sei nichts passiert. Statt ihren Kurs zu ändern und die Menschen vor den Gefahren, die sich im Fall LTCM mehr als deutlich gezeigt hatten, zu warnen, setzten die zuständigen Politiker den Kurs der Deregulierung hemmungslos fort und sahen teilnahmslos zu, wie das internationale Wettcasino kontinuierlich weiter ausuferte.

Die Rechnung wurde der Welt 2007/2008 präsentiert: Als in den USA der Häusermarkt einbrach, zeigte sich nicht nur, dass die US-Banken aufgrund der Deregulierung Kredite an kreditunwürdige Kunden vergeben hatten, sondern dass sie diese auch noch als asset-backed securities (forderungsbesicherte Wertpapiere) in alle Welt verkauft und internationalen Banken damit „toxische“ (also wertlose) Papiere in die Tresore gelegt hatten. Aber das war nicht alles: Sobald die Lawine in Gang kam, stürzten sich Großinvestoren erneut auf Kreditausfallversicherungen gefährdeter Unternehmen und lauerten auf deren Crash.

Die Zentralbanken in der Rolle des Notarztes

Der Zusammenbruch zeichnete sich schon bald ab, fiel diesmal aber so groß aus, dass eine Rettung durch einzelne oder mehrere Banken ausgeschlossen war. Also sprangen die Staaten ein, erklärten die großen Finanzinstitute, die die Krise herbeigeführt hatten, für „too big to fail“ („zu groß, um sie untergehen zu lassen“) und stützten sie zunächst mit Steuergeldern.

Es dauerte allerdings nicht lange, bis die finanziellen Möglichkeiten der Staaten erschöpft waren. Was also tun? Die Regierungen entschieden sich einträchtig für zwei Strategien: Zum einen wurde die Krise in der Form der Austeritäts-(Spar-)Politik auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt, zum anderen wurden die Zentralbanken als Notärzte herbeigezogen, die das schwerkranke Finanzsystem nun durch eine „Lockerung der Geldpolitik“ vor dem Untergang retten sollten.

Zentralbanken haben im Grunde nur zwei Instrumente, um die Geldpolitik zu beeinflussen: Sie können Geld schöpfen und den Zinssatz, zu dem es vergeben wird, herauf- oder herabsetzen. Das zweite haben die Zentralbanken aller führenden Industrienationen in den vergangenen zehn Jahren im Übermaß getan.

Der internationalen Öffentlichkeit wurde diese Geldpolitik als Notmaßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Erleichterung der Kreditvergabe vor allem an den Mittelstand dargestellt. In Wahrheit aber floss der Löwenanteil des neu geschaffenen Geldes wieder in das internationale Finanzcasino, wo es dafür sorgte, dass die Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkte auf immer neue Höchststände getrieben wurden. Oder es wurde von den Führungsetagen von Großkonzernen benutzt, um eigene Aktien zurückzukaufen und so die Manager-Boni zu befeuern.

Besonders gefährlicher Nebeneffekt der Entwicklung war einerseits, dass konservative Anleger wie Pensions- und Rentenkassen wegen der Niedrigzinsen ebenfalls in die Spekulation getrieben wurden und so nie gekannte Risiken eingehen mussten. Zudem führten die ständig steigenden Kurse dazu, dass immer mehr geliehenes Geld zur Spekulation eingesetzt wurde – mit der Folge, dass der Schuldenberg ins Unermessliche wuchs.

Umkehr ausgeschlossen – mit tragischen Folgen

Die Finanzmärkte begannen einem Auto zu gleichen, dessen Fahrer versucht, den überhitzten Motor durch immer schnelleres Fahren abzukühlen. Als nicht mehr zu übersehen war, dass es aus dieser Lage keinen Ausweg mehr gab, gingen die Zentralbanken sogar noch einen Schritt weiter: Um das System als Ganzes zu stützen, begannen sie, in Not geratene Unternehmen und auf der Kippe stehende Staaten zu stabilisieren, indem sie riesige Mengen an Anleihen aufkauften und offensichtlich auch untereinander Absprachen trafen. (Wie anders wäre es zu erklären, dass die Schweizer Nationalbank heute einer der größten Halter von Google-, Apple- und Facebook-Aktien ist und deren Kurse durch Gelddrucken praktisch nach Belieben beeinflussen kann?)

Mit anderen Worten: Es wurden alle Hemmungen abgelegt und alle rechtlichen Vorschriften (der EZB z.B. ist die monetäre Staatenfinanzierung verboten) missachtet – mit dem einzigen Ziel, das System auf Biegen und Brechen am Leben zu erhalten.

Doch in den zurückliegenden Monaten begannen sich die Folgen der Mega-Manipulation immer deutlicher zu zeigen: Das Wachstum lässt zu wünschen übrig, die Inflation zeichnet sich – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen durch Politik und Wirtschaft – immer deutlicher ab. Selbst Steuererleichterungen für Unternehmen und Ultrareiche bringen die Märkte kaum noch voran und sogar auf leichte Zinserhöhungen reagieren die Investoren allergisch. Was aber tun, wenn es zur nächsten Rezession kommt? Was, wenn die Märkte eine größere Korrektur erleben?

Die Antwort lautet: Die Zentralbanken müssen dann die Zinsen senken und Geld ins System pumpen. Um sich dafür allerdings den notwendigen Spielraum zu verschaffen, müssen sie zuerst einmal den Geldfluss stoppen und die Zinsen so schnell wie möglich anheben.

Diese im Englischen als „Quantitative Tightening“ (zu deutsch: „mengenmäßige Straffung“) bezeichnete Umkehr in der Geldpolitik führt jedoch dazu, dass es für Schuldner schwieriger wird, ihre Schulden zu bedienen – in einer Zeit, in der die Welt höher verschuldet ist als jemals zuvor. Das wiederum wird viele Schuldner zum Offenbarungseid zwingen, was seinerseits die Gläubiger aufschrecken wird: Sie könnten aus Angst davor, ihr Geld zu verlieren, in großem Umfang ihre Kredite einfordern – und damit den gefürchteten „Margin Call“ auslösen.

Die größte Gefahr lauert derzeit außerhalb des Finanzsystems. Die Ankündigung der Zentralbanken, die lockere Geldpolitik zu beenden, kann also ohne Übertreibung als das Einläuten der Endphase des gegenwärtigen globalen Finanzsystems betrachtet werden. Die internationale Öffentlichkeit wird die Brandstifter in den Führungsetagen der Zentralbanken aber nur für kurze Zeit in der Rolle der globalen Feuerwehr erleben. Es wird mit großer Sicherheit nicht lange dauern, bis sie gezwungen sein werden, die Brandherde erneut – und in noch größerem Ausmaß als zuvor – anzufachen. D.h.: Geld zu drucken und es zum Nulltarif an Großinvestoren zu vergeben.

Das aber führt in genau die Katastrophe, die man jetzt zu verhindern versucht. Anders ausgedrückt: Wir stehen vor einem nicht mehr aufzuhaltenden Zusammenbruch des Systems. Wann er kommen wird, kann niemand exakt voraussagen, aber dass er kommen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Allerdings sollte man in dieser Situation nicht nur starr auf das Finanzsystem schauen, sondern den Blick auch in andere gesellschaftliche Bereiche werfen, vor allem in die der internationalen Beziehungen und der Waffenproduktion. Dort lässt sich schnell feststellen, dass die verheerende Entwicklung auf dem Finanzsektor von einer noch verheerenderen Entwicklung begleitet wird – der vorsätzlichen Verschärfung internationaler Konflikte und einem Rüstungswettlauf wie im Kalten Krieg.

Hintergrund ist ein einfaches, aber menschenverachtendes Kalkül: Dass nämlich ein Krieg zum Verschleiß riesiger Mengen an Waffen und zu massiver Zerstörung mit der anschließenden Gelegenheit zum Wiederaufbau führen würde, dass er Wirtschaft und Finanzmärkte damit tatsächlich beleben und vor allem ein Großteil der Menschheit von den wahren Verursachern der größten Krise unserer Zeit ablenken könnte.

Dass es Spekulanten gibt, die hierauf hoffen, zeigt sich unter anderem in Texas: Obwohl die Fracking-Industrie in den USA seit Jahren keine Gewinne macht, sind bis heute dreistellige Milliardensummen in sie investiert worden, zudem werden ständig neue Quellen erschlossen und immer mehr Arbeitskräfte eingestellt. Warum?

Vermutlich, weil ein Krieg gegen den Iran, der sich immer deutlicher abzeichnet, den Ölpreis in die Höhe treiben, das Fracking in die Gewinnzone katapultieren und die USA innerhalb kürzester Zeit zum Ölexporteur Nr. 1 in der Welt machen und ihnen damit die Gelegenheit verschaffen würde, Russland als wichtigsten Lieferanten Europas aus dem Weg zu räumen und sich so einen riesigen neuen Absatzmarkt zu erobern.

Die Folge wäre, dass das globale Finanzsystem zwar nicht gerettet, aber als dahinsiechender Patient noch eine Weile länger am Leben erhalten würde.

 

Dieser Text wurde zuerst am 25.7.2018 auf https://politik.der-privatinvestor.de/ unter der URL <https://politik.der-privatinvestor.de/umkehr-ausgeschlossen-die-zentralbanken-stehen-vor-einer-unloesbaren-aufgabe> veröffentlicht. Lizenz: IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH

Umkehr ausgeschlossen

Von Published On: 4. September 2018Kategorien: Allgemein

Noch nie seit der Einführung des Geldes wurden die Zinsen weltweit so lange so niedrig gehalten und noch nie sind derart riesige Geldsummen aus dem Nichts geschaffen und zu so günstigen Konditionen vergeben worden wie seit der Krise von 2007/2008. Mehr als zwanzig Billionen Dollar haben die Zentralbanken bis heute ins weltweite Geldsystem gepumpt und dabei mehr als 700 Mal die Zinsen gesenkt.

Jetzt soll allerdings mit dieser „Politik des billigen Geldes“ Schluss sein. Seit einiger Zeit verkünden Politiker und Zentralbanker rund um den Globus, dass sich die Weltwirtschaft inzwischen stabilisiert habe, sie deshalb das Ruder herumreißen und sich von der „lockeren Geldpolitik“ verabschieden könnten.

Doch geht das? Lässt sich der höchste Schuldenstand in der Geschichte der Menschheit, den wir inzwischen erreicht haben, mit diesem Vorhaben vereinbaren? Werden die zu historischen Höchstständen aufgeblähten Finanzmärkte eine solche Politik ohne Einbrüche überstehen? Ein Blick auf die Entwicklung unseres Wirtschafts- und Finanzsystems im vergangenen halben Jahrhundert hilft diese Fragen zu beantworten.

Der Anfang vom Ende: Die Deregulierung des Finanzsektors

1944 wurden in Bretton Woods die Grundlagen für ein neues globales Finanzsystem gelegt. Es begünstigte die im Zweiten Weltkrieg zur Supermacht aufgestiegenen USA auf eine nie dagewesene Weise, indem es den US-Dollar an das Gold koppelte, ihn zur weltweiten Leitwährung erklärte und der US-Zentralbank Federal Reserve (FED) damit eine in der Geschichte des Geldes einmalige Sonderstellung verschaffte: Sie ist bis heute die einzige Institution, die die weltweite Leitwährung schöpfen darf.

Der Nachkriegsboom, der 1948 einsetzte, sorgte ein Vierteljahrhundert lang dafür, dass die gesamte Welt mit US-Dollars überschwemmt wurde. Das jedoch führte mit der Zeit zu einem zunehmenden Missverhältnis zwischen der umlaufenden Dollarmenge und der in den USA vorhandenen Goldmenge. Da immer mehr Investoren skeptisch wurden und ihre Dollars gegen Gold tauschten, sah sich die US-Regierung unter Präsident Nixon im August 1971 gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Sie entkoppelte den Dollar vom Gold und verwandelte so die durch einen realen Wert gedeckte globale Leitwährung in eine Fiat-(ungedeckte Schein-)Währung.

Wenige Jahre später folgten zwei weitere folgenschwere Ereignisse

Zum einen schlossen die USA ein Geheimabkommen mit Saudi-Arabien, in dem vereinbart wurde, dass Erdöl weltweit nur noch in Dollar verkauft werden durfte. Da alle Staaten der Welt zur Energieerzeugung auf Öl angewiesen sind und seitdem große Mengen an US-Dollar vorhalten müssen, verschaffte der so entstandene Petrodollar der US-Währung neben dem Status als Leitwährung auch noch den der globalen Reservewährung.

Zum anderen ging Mitte der Siebziger Jahre der Nachkriegsboom zu Ende. Die Gewinne der Konzerne sprudelten nicht mehr, die Nachfrage nach Konsumgütern ging zurück und damit auch das Kerngeschäft der Banken, die Kreditvergabe. Die Finanzindustrie, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich an Macht gewonnen hatte, sah sich sofort nach Möglichkeiten um, ihre Erträge trotz schlechterer Bedingungen weiter zu erhöhen. Sie fand schnell einen willfährigen Helfer: Die Politik reagierte umgehend auf die Wünsche der Banker und begann in den Folgejahren, den Finanzsektor durch immer weitergehende gesetzliche Maßnahmen zu deregulieren.

Besonders begünstigt wurden die Großbanken durch die Einführung von Hedgefonds. Bei ihnen handelt es sich um Vermögensverwaltungen für Millionäre und Milliardäre, die wie Banken operieren dürfen, ihren Beschränkungen aber nicht unterworfen sind. Ihre Zulassung hatte zur Folge, dass Banken ihre eigenen Hedgefonds gründeten, um anschließend ganz legal in die Geschäftsbereiche vorzustoßen, die ihnen bis dahin verschlossen waren. Zudem wurden immer neue Derivate (im Grunde nichts anderes als Wetten auf Kurse, Preise oder Zinssätze) aufgelegt. Die daraufhin entstehende Spekulationswelle führte dazu, dass der Finanzsektor in den 90er Jahren geradezu explodierte.

Finanzielle Massenvernichtungswaffen

Ein Derivat – der von der JP-Morgan-Bankerin Blythe Masters Mitte der 90er Jahre entwickelte CDS (credit default swap, zu deutsch: Kreditausfallversicherung) – trieb das Wettgeschäft auf die Spitze: Durch den Erwerb eines CDS konnten auch an einer Kreditvergabe nicht beteiligte Parteien auf den Ausfall eines Kredites wetten. Obwohl vom US-Starinvestor Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ angeprangert, wurden die CDS zum Renner unter den Derivaten – mit verheerenden Folgen.
Als der New Yorker Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) 1998 wegen Fehlspekulationen im Währungshandel ins Trudeln geriet, schlossen informierte Investoren in Windeseile eine große Zahl von Kreditausfallversicherungen auf ihn ab. Als LTCM innerhalb weniger Wochen tatsächlich zahlungsunfähig wurde, standen plötzlich Ausfallzahlungen in Höhe von ca. einer Billion US-Dollar im Raum.

Da diese Summe einige der zur Kasse gebetenen Banken in den Abgrund gerissen hätte, taten sich die größten unter ihnen zusammen und kauften LTCM einfach auf. Die Rettungsaktion kostete sie zwar ca. 4 Milliarden US-Dollar, verhinderte aber ihren Untergang, der möglicherweise über einen Domino-Effekt zum Zusammenbruch des gesamten Systems geführt hätte.

Besonders interessant an diesem ersten Beinahe-Zusammenbruch des globalen Finanzsystems war die Tatsache, dass er in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen wurde – mit der Folge, dass die Politik sich aus der Verantwortung stehlen und so tun konnte, als sei nichts passiert. Statt ihren Kurs zu ändern und die Menschen vor den Gefahren, die sich im Fall LTCM mehr als deutlich gezeigt hatten, zu warnen, setzten die zuständigen Politiker den Kurs der Deregulierung hemmungslos fort und sahen teilnahmslos zu, wie das internationale Wettcasino kontinuierlich weiter ausuferte.

Die Rechnung wurde der Welt 2007/2008 präsentiert: Als in den USA der Häusermarkt einbrach, zeigte sich nicht nur, dass die US-Banken aufgrund der Deregulierung Kredite an kreditunwürdige Kunden vergeben hatten, sondern dass sie diese auch noch als asset-backed securities (forderungsbesicherte Wertpapiere) in alle Welt verkauft und internationalen Banken damit „toxische“ (also wertlose) Papiere in die Tresore gelegt hatten. Aber das war nicht alles: Sobald die Lawine in Gang kam, stürzten sich Großinvestoren erneut auf Kreditausfallversicherungen gefährdeter Unternehmen und lauerten auf deren Crash.

Die Zentralbanken in der Rolle des Notarztes

Der Zusammenbruch zeichnete sich schon bald ab, fiel diesmal aber so groß aus, dass eine Rettung durch einzelne oder mehrere Banken ausgeschlossen war. Also sprangen die Staaten ein, erklärten die großen Finanzinstitute, die die Krise herbeigeführt hatten, für „too big to fail“ („zu groß, um sie untergehen zu lassen“) und stützten sie zunächst mit Steuergeldern.

Es dauerte allerdings nicht lange, bis die finanziellen Möglichkeiten der Staaten erschöpft waren. Was also tun? Die Regierungen entschieden sich einträchtig für zwei Strategien: Zum einen wurde die Krise in der Form der Austeritäts-(Spar-)Politik auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt, zum anderen wurden die Zentralbanken als Notärzte herbeigezogen, die das schwerkranke Finanzsystem nun durch eine „Lockerung der Geldpolitik“ vor dem Untergang retten sollten.

Zentralbanken haben im Grunde nur zwei Instrumente, um die Geldpolitik zu beeinflussen: Sie können Geld schöpfen und den Zinssatz, zu dem es vergeben wird, herauf- oder herabsetzen. Das zweite haben die Zentralbanken aller führenden Industrienationen in den vergangenen zehn Jahren im Übermaß getan.

Der internationalen Öffentlichkeit wurde diese Geldpolitik als Notmaßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Erleichterung der Kreditvergabe vor allem an den Mittelstand dargestellt. In Wahrheit aber floss der Löwenanteil des neu geschaffenen Geldes wieder in das internationale Finanzcasino, wo es dafür sorgte, dass die Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkte auf immer neue Höchststände getrieben wurden. Oder es wurde von den Führungsetagen von Großkonzernen benutzt, um eigene Aktien zurückzukaufen und so die Manager-Boni zu befeuern.

Besonders gefährlicher Nebeneffekt der Entwicklung war einerseits, dass konservative Anleger wie Pensions- und Rentenkassen wegen der Niedrigzinsen ebenfalls in die Spekulation getrieben wurden und so nie gekannte Risiken eingehen mussten. Zudem führten die ständig steigenden Kurse dazu, dass immer mehr geliehenes Geld zur Spekulation eingesetzt wurde – mit der Folge, dass der Schuldenberg ins Unermessliche wuchs.

Umkehr ausgeschlossen – mit tragischen Folgen

Die Finanzmärkte begannen einem Auto zu gleichen, dessen Fahrer versucht, den überhitzten Motor durch immer schnelleres Fahren abzukühlen. Als nicht mehr zu übersehen war, dass es aus dieser Lage keinen Ausweg mehr gab, gingen die Zentralbanken sogar noch einen Schritt weiter: Um das System als Ganzes zu stützen, begannen sie, in Not geratene Unternehmen und auf der Kippe stehende Staaten zu stabilisieren, indem sie riesige Mengen an Anleihen aufkauften und offensichtlich auch untereinander Absprachen trafen. (Wie anders wäre es zu erklären, dass die Schweizer Nationalbank heute einer der größten Halter von Google-, Apple- und Facebook-Aktien ist und deren Kurse durch Gelddrucken praktisch nach Belieben beeinflussen kann?)

Mit anderen Worten: Es wurden alle Hemmungen abgelegt und alle rechtlichen Vorschriften (der EZB z.B. ist die monetäre Staatenfinanzierung verboten) missachtet – mit dem einzigen Ziel, das System auf Biegen und Brechen am Leben zu erhalten.

Doch in den zurückliegenden Monaten begannen sich die Folgen der Mega-Manipulation immer deutlicher zu zeigen: Das Wachstum lässt zu wünschen übrig, die Inflation zeichnet sich – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen durch Politik und Wirtschaft – immer deutlicher ab. Selbst Steuererleichterungen für Unternehmen und Ultrareiche bringen die Märkte kaum noch voran und sogar auf leichte Zinserhöhungen reagieren die Investoren allergisch. Was aber tun, wenn es zur nächsten Rezession kommt? Was, wenn die Märkte eine größere Korrektur erleben?

Die Antwort lautet: Die Zentralbanken müssen dann die Zinsen senken und Geld ins System pumpen. Um sich dafür allerdings den notwendigen Spielraum zu verschaffen, müssen sie zuerst einmal den Geldfluss stoppen und die Zinsen so schnell wie möglich anheben.

Diese im Englischen als „Quantitative Tightening“ (zu deutsch: „mengenmäßige Straffung“) bezeichnete Umkehr in der Geldpolitik führt jedoch dazu, dass es für Schuldner schwieriger wird, ihre Schulden zu bedienen – in einer Zeit, in der die Welt höher verschuldet ist als jemals zuvor. Das wiederum wird viele Schuldner zum Offenbarungseid zwingen, was seinerseits die Gläubiger aufschrecken wird: Sie könnten aus Angst davor, ihr Geld zu verlieren, in großem Umfang ihre Kredite einfordern – und damit den gefürchteten „Margin Call“ auslösen.

Die größte Gefahr lauert derzeit außerhalb des Finanzsystems. Die Ankündigung der Zentralbanken, die lockere Geldpolitik zu beenden, kann also ohne Übertreibung als das Einläuten der Endphase des gegenwärtigen globalen Finanzsystems betrachtet werden. Die internationale Öffentlichkeit wird die Brandstifter in den Führungsetagen der Zentralbanken aber nur für kurze Zeit in der Rolle der globalen Feuerwehr erleben. Es wird mit großer Sicherheit nicht lange dauern, bis sie gezwungen sein werden, die Brandherde erneut – und in noch größerem Ausmaß als zuvor – anzufachen. D.h.: Geld zu drucken und es zum Nulltarif an Großinvestoren zu vergeben.

Das aber führt in genau die Katastrophe, die man jetzt zu verhindern versucht. Anders ausgedrückt: Wir stehen vor einem nicht mehr aufzuhaltenden Zusammenbruch des Systems. Wann er kommen wird, kann niemand exakt voraussagen, aber dass er kommen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Allerdings sollte man in dieser Situation nicht nur starr auf das Finanzsystem schauen, sondern den Blick auch in andere gesellschaftliche Bereiche werfen, vor allem in die der internationalen Beziehungen und der Waffenproduktion. Dort lässt sich schnell feststellen, dass die verheerende Entwicklung auf dem Finanzsektor von einer noch verheerenderen Entwicklung begleitet wird – der vorsätzlichen Verschärfung internationaler Konflikte und einem Rüstungswettlauf wie im Kalten Krieg.

Hintergrund ist ein einfaches, aber menschenverachtendes Kalkül: Dass nämlich ein Krieg zum Verschleiß riesiger Mengen an Waffen und zu massiver Zerstörung mit der anschließenden Gelegenheit zum Wiederaufbau führen würde, dass er Wirtschaft und Finanzmärkte damit tatsächlich beleben und vor allem ein Großteil der Menschheit von den wahren Verursachern der größten Krise unserer Zeit ablenken könnte.

Dass es Spekulanten gibt, die hierauf hoffen, zeigt sich unter anderem in Texas: Obwohl die Fracking-Industrie in den USA seit Jahren keine Gewinne macht, sind bis heute dreistellige Milliardensummen in sie investiert worden, zudem werden ständig neue Quellen erschlossen und immer mehr Arbeitskräfte eingestellt. Warum?

Vermutlich, weil ein Krieg gegen den Iran, der sich immer deutlicher abzeichnet, den Ölpreis in die Höhe treiben, das Fracking in die Gewinnzone katapultieren und die USA innerhalb kürzester Zeit zum Ölexporteur Nr. 1 in der Welt machen und ihnen damit die Gelegenheit verschaffen würde, Russland als wichtigsten Lieferanten Europas aus dem Weg zu räumen und sich so einen riesigen neuen Absatzmarkt zu erobern.

Die Folge wäre, dass das globale Finanzsystem zwar nicht gerettet, aber als dahinsiechender Patient noch eine Weile länger am Leben erhalten würde.

 

Dieser Text wurde zuerst am 25.7.2018 auf https://politik.der-privatinvestor.de/ unter der URL <https://politik.der-privatinvestor.de/umkehr-ausgeschlossen-die-zentralbanken-stehen-vor-einer-unloesbaren-aufgabe> veröffentlicht. Lizenz: IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH