Friedensarbeit:

Wir sind Frieden

Von Published On: 13. Oktober 2016Kategorien: Allgemein

Dieser Gedanke ist und war ein Grund dafür, dass sie mit PKW, Bus, Wohnmobil (WoMo) und sogar Motorrad im August 2016 an der Friedensfahrt Berlin–Moskau teilgenommen haben. Die weiteren Gründe, warum sie es taten und was für jede Einzelne zu den beeindruckenden Erfahrungen zählte, sind aber wieder …

… sehr unterschiedlich.

 

 

monika-krankenhausMonika

(Österreicherin, 1947, PKW)

 

Zum Warum: Aktiv für Frieden u.a. mit Russland – das Bild, das der Westen über Russland prägt, ist vielfach falsch. Hört man sich Reden von Putin an, spürt man, dass er dem Westen die Hand  reichen will. Dies wird von den Medien und Politikern ignoriert. Die NATO-Aufrüstung durch Österreich (Neutralität?) seit Jahren und der Beginn der Sanktionen machten mir klar, dass ich ein Zeichen setzen will. Verschiedenste Recherchen brachten mich dazu, die russische Staatsbürgerschaft als zweite neben der österreichischen annehmen zu wollen.  Mit der Fahrt ein Zeichen für das Gemeinsame zu setzen war mir ein ganz besonderes Anliegen.

 

 

hildegardHildegard Berger

(Österreicherin, 1951, Bus)

 

Zum Warum:  Ich wollte nicht länger  im Garten  liegen und über Politik und Frieden sprechen, ich wollte etwas tun. Nach der Diskussion auf KenFM, die ich mir mehrfach angeschaut hatte, war das Interesse groß. Den Ausschlag gab das Telefonat mit meinem Bruder, den ich fragte, was er davon hält. Als er lachte, weil er sich – völlig unabhängig von mir – die gleichen Gedanken gemacht hatte, war beschlossen: „wir fahren“. Alle Medien positionieren Russland als Feind, ich wollte einen eigenen ersten Eindruck gewinnen. Meinen Eindruck eben.

 

 

Meine Erfahrungen: Die waren sehr vielfältig. Beachtenswert waren – für mich als ausgebildete Supervisorin – bereits im Bus die verschiedenen „Rollen der Selbsterfahrungsgruppe ohne abendliche Reflexion“ zu beobachten. Die Fahrt war ja teilweise sehr anstrengend. Ein bunter Haufen Menschen, die sich nicht kannten, rollten dahin. Teilweise gab es außer Kekserl nichts zu essen, ausgelöst  durch die Wartezeit an den Grenzen. Das war für viele eine ungewöhnliche Belastung mit entsprechenden Reaktionen. Wo liegen die Grenzen des Einzelnen, wann geht man sich gegenseitig auf die Nerven, was regt mich auf. Getragen wurde das Ganze durch das gemeinsame Thema Friedensfahrt, sonst hätte es zwischen den Mitfahrenden sicher mehr Konflikte gegeben. Die „Friedensfahrt“ hat die Gruppe in ihrer Verschiedenheit zusammengehalten. Gelernt habe ich enorm vieles – einiges was ich heute noch beleuchten will. Ich bin jetzt noch viel vorsichtiger mit Äußerungen über Russland, da ich erfahren konnte, wie wenig ich wirklich weiß. Unser Busfahrer Walter ist eine wahre Fundgrube an Wissen und Information – und kann auch noch spannend erzählen.. Er hat uns sehr viel erzählt, geschichtliche Hintergründe, über die Jelzin-Zeit, die Gorbatschov-Ära  – und das aus der Sicht eines Russen. Leider fehlte mir die Zeit, mich auf die Menschen einzulassen. Trotzdem kam es zu sehr berührenden Situationen, die mich motivieren auf jeden Fall nochmals mit mehr Zeit nach Russland zu reisen. In Smolensk konnte ich erfahren, wie sich eine alte Dame über unsere Fahrt freut. Auch das hat mich dazu bewogen, durch mein Handeln, einen „weiteren Tropfen in einen See zu werfen“ und am 1.10. von Wien nach Berlin zur  Friedensdemo zu fahren.

 

 

larissaLarissa

(Russlanddeutsche, 1960, PKW)

 

Zum Warum: Ein Grund  – neben der Tatsache, dass ich die Idee super und dringend notwendig fand – war der Wunsch, Menschen kennen zu lernen, die in die gleiche Richtung schauen. Allein erreicht man wenig, unter Gleichgesinnten ist vieles möglich. Seit Jahrzehnten schwebt mir eine Idee im Kopf herum, die ich in der Vorbereitung für die Fahrt als Projektvorschlag konkretisiert habe. Mein Projekt steht für Selbstbildung, Selbstorganisation, Selbstaktivierung, Selbstbeteiligung und Selbstverwaltung. Die Menschen müssen selbst agieren, nicht warten, bis Politiker oder andere die Dinge für sie in die Hand nehmen. Darum ging es ja auch bei der Friedensfahrt: etwas selbst tun.

 

Meine Erfahrungen: Es hat mir gefallen, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, aus unterschiedlichen Schichten und unterschiedlichen Alters dabei waren. Trotz der enormen Belastung ging man ziemlich friedlich miteinander um. Beeindruckt hat mich, dass die Deutschen in der Gruppe so offenherzig das Gedenken an die Opfer geleistet haben. Ich erinnerte mich an meine Jugend, als Kranz- und Blumenniederlegung selbstverständlich waren. Es war in der Sowjet-Union Tradition. Jede Stadt hat ihr Mahnmal, das man einmal im Jahr besuchte. So wurde das Gedenken irgendwie zur Routine. Bei der Fahrt habe ich empfunden, wie wichtig es sein kann, den Gefallenen und der Opfer der Kriege zu gedenken. Solange Menschen nicht ohne Kriege leben, muss immer wieder an die Konsequenzen erinnert werden. Daher war unsere damalige Routine sehr wichtig. Erst durch meine 26 Jahre, die ich jetzt in Deutschland lebe, wurde mir bewusst, was es heißt, keine Lehre aus der Geschichte zu ziehen. Das führt zu Arroganz gegenüber den Opfern der Kriege. Das darf nicht sein. Mit dem Projekt will ich dazu beitragen, Kriege zu verhindern. Es geht um die Antwort auf Fragen wie, warum Menschen nicht friedlich leben, warum soviel Energie in Kriege gesteckt wird. Es geht darum, die wirkliche Geschichte kennen zu lernen, die Fakten, die realen Ursachen der Kriege damals und heute. Die offizielle Geschichtsschreibung verbirgt vieles noch.  Nur wenn man die Fakten, die zu Kriegen führen, kennt, kann man diese vermeiden. Ein Fakt ist offensichtlich: Deutschland steht immer wieder im Zentrum derartiger Kriege. Weitere Infos dazu auf meiner Webseite http://laraless.jimdo.com/.

 

 

michaelaMichaela Sondermann

(Deutsche, 1960, PKW)

 

Zum Warum:  Ich wollte mir ein eigenes Bild über Land und Leute machen, die Menschen und die Kultur besser kennen lernen. Das Feindbild Putin und “der böse Russe“ sind mir aus den Medien bekannt. Überschriften wie “Wer stoppt Putin?“ tragen nicht zu einer friedfertigen Stimmung bei. Ich wollte endlich mit Taten und nicht nur mit Worten ein Zeichen für Frieden setzen. Die Drohgebärden der NATO, die Sanktionen gegen Russland – alles das gefällt mir nicht und macht mich wütend. Die Friedensfahrt bot mir die einmalige Gelegenheit, nicht einfach nur Urlaub dort zu machen, sondern selbst aktiv etwas für Völkerverständigung auf der menschlichen Ebene zu tun.

 

Meine Erfahrungen:  Dass ich als großer Fan von Willy Wimmer in Berlin die Möglichkeit hatte, ihn persönlich kennen zu lernen, mit ihm ein paar Worte zu wechseln konnte und mich für sein unermüdliches Engagement bedanken konnte, das war ein ganz toller Start vor der strapaziösen Friedensfahrt. In Luga am Partisanendenkmal – ich war von dem, was uns dort erwartete überwältigt. Die Menschlichkeit, die Begeisterung, wildfremde Russen, die mich mit einer Herzlichkeit umarmten – all das war Gänsehaut-Feeling. Die Begegnung mit Sveta in Moskau, das ist für mich ein weiterer Höhepunkt der Fahrt. Martin, auch ein Friedensfahrer und ich verteilten Flyer. Eine freundliche Russin antwortete unerwartet auf Deutsch und somit entwickelte sich ein Gespräch. Sie möchte nächstes Jahr unbedingt Neuschwanstein und den Königssee kennen lernen. Am selben Abend, als wir im Ausgangsbereich der Moskauer Metro, auf dem Lageplan den Ausgang zum Hotel suchten, tippte mir jemand auf die Schulter. Es war wieder Sveta, die fragte, ob sie uns helfen könne und zog zwei Tafeln russischer Schokolade aus ihrer Tasche, die sie uns schenkte. Martin ließ sich ihre Telefonnummer auf das Papier der Schokolade schreiben und mir gab sie ihre E-Mail-Adresse. Danach zeigte sie uns den Weg zum Hotel.

 

Um 23:00 Uhr rief mich Martin an. „Hast du die Nummer von Sveta noch?“ Der Hund hatte die Schokolade verspeist – Papier und Telefonnummer inklusive. Per Mail kamen wir aber wieder in Kontakt, so dass sie uns  am nächsten Abend zu den Nachtwölfen begleitete. Seit diesem Tag schreiben wir uns regelmäßig per WhatsApp oder E-Mail und wenn sie nach München kommt, werde ich ihre Fremdenführerin sein.

 

 

 alexandraAlexandra

(Deutsche, 1961, Motorrad)

 

Zum Warum:   Ich hatte Russland schon lang „auf dem Sender“, wollte mir ein eigenes Bild machen und Menschen kennen lernen. Der mediale Kriegszug war für mich nicht glaubhaft. Spätestens seit dem 9.5.2015 ist mir das ein Anliegen. Die Nachtwölfe hatten sich zum Tag des Sieges angekündigt, dann stellte sich Polen quer und die Jungs mussten einen Riesenumweg fahren. In den deutschen Medien gab es nur Negativschlagzeilen bzw. man konnte lesen, dass sie gar nicht da waren. Und ich stand 5 Meter von ihnen entfernt … Als die Fahrt angekündigt wurde, war klar „Ich bin dabei“.

 

Meine Erfahrungen: Wir Motorradfahrer waren nicht immer beim Konvoi, da wir alle 200 km tanken. Über weite Strecken haben wir unser eigenes Ding gemacht, was zu spontanen und intensiven Begegnungen führte. Typisch dafür der Treffpunkt in Moskau. Ich sah einen Motorradfahrer in Regenkombi und kam mit ihm – Anton – ins Gespräch. Er hatte im TV von uns erfahren. Die Antwort auf die Frage, ob wir weiter im Stau im Regen stehen wollten, war eindeutig und so fuhren wir durch heftigen Regen im Blindflug hinter ihm her. Er brachte uns in eine Gastwirtschaft, wo wir uns – bei intensiven Diskussionen auf Englisch – aufwärmten. Da nur einer von uns ein Zimmer gebucht hatte, folgten wir seiner Empfehlung und landeten in der Moskauer Biker-Meile bei Dimitri. Als Friedensfahrer erhielten wir die Zimmer zum halben Preis. Abends zogen einige mit Anton los, der sich als Chef einer IT-Firma extra drei Tage frei genommen hatte. So lernten wir zahlreiche Biker kennen, die schon weit herumgekommen waren. Erschreckend, dass sich viele von ihnen als Russen von der Weltgemeinschaft ausgeschlossen fühlen. Bei meinem Unfall am nächsten Tag, bei dem aber nichts Schlimmes passiert ist, war Anton eine enorme Hilfe. Nicht nur, dass er die Formalitäten mit der Polizei abwickelte, er sorgte noch am gleichen Abend für die Reparatur der Maschine. Der Platten am Tag darauf wurde in der Werkstatt von Pawel nicht nur sofort sondern kostenlos repariert. Der Versuch zu bezahlen wurde mit „Ach Alexandra –  nein, nein – Deutschland klein, Russland groß“ kommentiert. Dass wir mit den Jungs die letzte Nacht verbrachten, ist – nach diesen Erlebnissen – wohl ebenso verständlich wie der Plan, nächstes Jahr mit Anton eine Tour zu fahren.

 

 

 

irisIris

(Deutsche, 1961, Bus)

 

Zum Warum:  Ich bin eher unpolitisch, wurde aber mit der Gründung einer veganen Online-Community plötzlich politisch angeprangert. Das funktioniert heute sehr schnell. Unterwirft man sich nicht dem Meinungsdiktat gewisser Personen, wird man öffentlich diffamiert. So etwas sensibilisiert und man beginnt, (politisch) genauer hinzusehen. Fortan gehörten u.a. ausländische TV-Sender, alternative Online-Plattformen und KenFM zu den Medien, über die ich mich informierte, nachdem mir die Darstellungen im Mainstream zu einseitig erschienen. Russland wird offensichtlich immer mehr in die Verteidigungshaltung gedrängt, die NATO ist eindeutig auf dem Vormarsch. Als ich von der Idee der Friedensfahrt hörte, habe ich aus dem Herzen spontan entschieden und sofort zugesagt. Jeder Mensch sollte sich in dieser hochbrisanten Zeit politisch einbringen und handeln. Ich will mir von meinen Enkeln später nicht vorwerfen lassen, nichts getan zu haben.

 

Meine Erfahrungen: Die Fahrt verlief für mich anders als geplant. Gemeinsam mit einem Freund habe ich mich in St. Petersburg ausgeklinkt. Das hatte pragmatische Gründe. Für uns Veganer gab es unterwegs nichts Sinnvolles zu essen. Später erfuhren wir, dass St. Petersburg die Veganer-Hochburg Russlands ist und direkt gegenüber von unserem Hotel eine Art alternatives, veganes Einkaufszentrum lag. Nach einer hungrigen Woche schlugen wir uns endlich den Bauch voll. Und während wir Einheimischen vorher nur  im Schnelldurchlauf begegnet waren, entstand in St. Petersburg das Gefühl „Klasse, jetzt lernen wir endlich Russen kennen“. Das war für mich ja das Ziel der Fahrt. In unserer FB-Online-Community haben wir jetzt auch russische Mitglieder, mit denen wir uns z.T. privat austauschen. Wir haben Aufkleber und T-Shirts verteilt, waren im Sinne der Idee unterwegs – aber nur an einem Ort. St. Petersburg ist als eine der reichen Städte sehr schick. Man sieht dort aber auch traurige Szenen – Armut, die mich schockiert hat. Was mich jedoch begeisterte: Wir haben keinen dummen Kommentar gehört, sind ausnahmslos nur freundlichen Menschen begegnet. „Druschba“ hat die Herzen geöffnet. Die Begegnung mit den jungen Veganern war unser Highlight. Dass uns „der Diesel“ im Bauch gerade hier ausging, war ideal. Die vegane Botschaft des Russen Leo Tolstoi „Solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlachtfelder geben“ ist wirklich international – und das Vegane Zeitalter scheinbar auch.

 

 

samiraSamira

(Palästinensische Israelin, 1974, Bus)

 

Zum Warum: Für mich gab es viele Gründe. Ich sehe mich, egal wo ich lebe, als Akteurin, die die negativen Situationen zu positiven zu wandeln versucht. Jemand, der handelt, agiert und versteht – aber nicht leidet oder böses tut. Wie wichtig Frieden ist, ist mir als palästinensische Israelin sehr bewusst. Wenn es in Deutschland solche Aktionen gibt, möchte ich Teil davon sein, nachdem ich seit 8 Jahren hier lebe. Ich wollte politisch engagierte und kritische Menschen kennen lernen, Menschen, die, wie ich, nach Lösungen suchen, die Antworten auf Fragen fordern, die ihr Unbehagen artikulieren. Wir leben in einer globalisierten Welt, was eine bessere menschliche Interaktion fördern sollte. Interaktion, die effektiver als die Medien sein könnte. Ich bin überzeugt, wenn ich den Frieden und die Demokratie in Europa fördere, unterstütze ich auch dabei den Frieden und die Demokratie-Bewegung im Nahen Osten. Daher ist, von meiner Perspektive, die friedliche und vernünftige Politik zwischen Deutschland und Russland ganz wichtig.

 

Meine Erfahrungen: Am Meisten haben mich daher die Teilnehmer beeindruckt und die Art und Weise, wie diese die Erinnerungskultur an den Mahnmälern durchlebten. Die Kranzniederlegungen wurden ja durch uns als normale Bürger organisiert und vollzogen. Wir waren alles keine „Offiziellen“, sondern nahmen an einer von uns selbst initiierten, geschichtsträchtigen Veranstaltung teil. Das zu erleben war für mich eine große Sache. Denn zum Einen sind Kriege keine Lösung und zum Anderen wird meine eigene Erinnerungskultur immer vernachlässigt bzw. das zugrunde liegende Narrativ bezweifelt. In Israel gelten solche Veranstaltungen immer nur den Israelis, die Geschichte der Palästinenser wird ignoriert. Das Niederlegen von Blumen, die Musik, die Feierlichkeit am ewigen Feuer galt nie meiner Historie – daher waren derartige Veranstaltungen für mich negativ besetzt. Bei der Friedensfahrt habe ich es zum ersten Mal positiv miterlebt. Als Ausdruck von Trauer, als Symbol gegen Kriege, gegen Ungerechtigkeit. Mir wurde bewusst, wie wichtig eine derartige Erinnerungskultur als Teil einer Demokratie sein kann. Zumindest, wenn man ein friedensorientiertes kollektives Gedächtnis schaffen will, das auf Wahrheit und nicht auf Propaganda setzt. Das hat mir persönlich sehr viel zum Nachdenken mitgegeben.

 

 

florenceFlorence

(Französin, 1973, PKW)

 

Zum Warum: Wir sind zwei Jahre durch die Welt getingelt, da hatte ich Zeit zu lesen. Neben Gabriele Krone-Schmalz vermittelte mir auch Helene Carrère ein überraschendes Bild von Russland. Die plakativen Nachrichten positionieren Putin als das personifizierte Böse. Betrachtet man die NATO-Karte 1990 und heute, dehnt sich diese immer weiter aus. Wir schicken Panzer an die Grenze, wir dämonisieren die Russen. Was macht man mit uns?  Putin, der nächste Feind nach Ghaddafi, Hussein und Assad? Das macht mich wütend und zutiefst traurig. Hat man kleine Kinder, wie ich, muss man sich für eine friedliche Zukunft einsetzen. Als ich jung war, hatte man Angst vor Deutschland, heute vor Russland. Putin vertritt sicher auch geopolitische Interessen. Aber mir ging es darum zu sagen: „Stopp: Schluß mit Provokation und Diffamierung. Wir wollen Frieden.“ Mitzufahren hieß, wir sind keine Opfer!

 

Meine Erfahrungen: Es gab sehr emotionale Begegnungen, die tiefe Spuren bei mir hinterlassen haben. In St. Petersburg war unser Hostel eigentlich ein Altersheim. Zunächst waren wir etwas schockiert, wo sind wir gelandet?! Aber es wurde eine unglaublich schöne Zeit mit Spaghetti und  Diskussionen rund um Politik, Wirtschaft und Kultur. Wir kamen mit einigen Heimbewohnern in Kontakt, sprachen mit ihnen über ihre Zeit in Deutschland, über Goethe und deutsche Kultur. Es war alles sehr nostalgisch. Diese alten Herrschaften sagten uns aber auch deutlich, dass sie zwar nicht 100% zufrieden mit Putin seien, er aber sehr viel Gutes für sie und Russland tun würde. In Moskau trafen wir eine Gruppe aus Tcheschenien, Dagistan, Usbekistan und Aserbeidschan. Als wir ihnen erzählten, was wir tun, haben sie uns umarmt und gesagt „Wunderbar, ihr macht das Richtige. Die Russen sind unsere Freunde. Wir gehören zusammen.“ – und das aus dem Mund von Muslimen, was mich zugegebenermaßen überraschte. Ich hatte vor der Fahrt Vorurteile gegenüber Russland: „das kommunistische Land mit vermoderten Gebäuden, betrunkenen Menschen auf der Straße, feindseliger Stimmung, sturen Beamten an den Grenzen und überall Spione. Daher: Nur nicht offen über Politik reden. Es kam aber alles anders. Kritische Stimmen waren sehr wohl zu hören – ob im Cafe, im Altenheim oder in den Hostels, es wurde unzensiert diskutiert. Meine Vorurteile waren eben Vor-Urteile und wurden widerlegt.

 

 

pauliPauline 

(Deutsche, 1997, Wohnmobil)

 

Zum Warum: Mich haben meine Eltern drauf gebracht, dabei zu sein. Durch sie habe ich einen anderen Blickwinkel als andere Jugendliche. Ich mag Reisen. Geschichte fand ich immer interessant und der geschichtliche Hintergrund ist hier enorm spannend. In der Schule hatte ich immer Stress mit dem Geschichtslehrer. Der hat Sachen über Russland erzählt, die einfach nicht stimmten. Dass ich ständig widersprach und er meine Argumente nicht entkräften konnte, hat ihm nie gepasst. Dass mir im Geschichts-LK ein Punkt zum Fachabi fehlt, ist wohl Zufall. Egal. Russland begeistert mich total. Und das Ziel der Fahrt hat für mich super gepasst. Ein Zeichen zu setzen, dass es so nicht weitergehen kann, war mir sehr wichtig.

 

Meine Erfahrungen: Am meisten hat mich der Empfang an der Landesgrenze zum Leningrader Oblast beeindruckt. Die WoMos waren als erstes da. Überall standen dort Leute, Autos, Polizei. Wir dachten, das kann nicht für uns sein. Dann hat uns die Polizei „reingewunken“, es wurde getanzt, gesungen. Wahnsinnsstimmung! Besonders, als die russische Nationalhymne angestimmt wurde, wurde es emotional. Jeder vergoss Tränen. Ähnliches erlebten wir auch in Utorgosh. Die Stadthalle wurde für uns aufgemacht. Es kamen Einwohner und Menschen aus der Umgebung, bis mitten in die Nacht wurde gefeiert. Jeder war freundlich, obwohl sich keiner kannte. Wer kein eigenes WoMo-Bett hatte, schlief in der Schule. Dort gab es auch Abendessen und Frühstück für alle. Es war völlig selbstverständlich uns zu beköstigen. In Deutschland geben sich Menschen, die sich nicht kennen, kaum die Hand – das war für mich völlig neu. In St. Petersburg habe ich mich verliebt. Die Pracht, die Sauberkeit, die U-Bahn, in der alle 40 Sekunden ein Zug fährt – und so gepflegt. Dabei ist die Stadt wesentlich größer als Köln und Russland ärmer als Deutschland. Ja, die U-Bahnen sind teilweise alt, aber nichts ist zerkratzt, zerschnitten oder versprayt. Die Menschen haben wohl eine andere Beziehung zu ihrer Stadt. In Erinnerung bleibt mir auch der Empfang bei den Nachtwölfen. Einfach mal einen Abend nur Spaß haben, nichts Offizielles – nur feiern. Die Sänger, die mit deutscher, russischer und ukrainischer Flaggen auftrat, symbolisierte genau die Völkerverständigung wie ich sie mir wünsche.

Friedensarbeit:

Wir sind Frieden

Von Published On: 13. Oktober 2016Kategorien: Allgemein

Dieser Gedanke ist und war ein Grund dafür, dass sie mit PKW, Bus, Wohnmobil (WoMo) und sogar Motorrad im August 2016 an der Friedensfahrt Berlin–Moskau teilgenommen haben. Die weiteren Gründe, warum sie es taten und was für jede Einzelne zu den beeindruckenden Erfahrungen zählte, sind aber wieder …

… sehr unterschiedlich.

 

 

monika-krankenhausMonika

(Österreicherin, 1947, PKW)

 

Zum Warum: Aktiv für Frieden u.a. mit Russland – das Bild, das der Westen über Russland prägt, ist vielfach falsch. Hört man sich Reden von Putin an, spürt man, dass er dem Westen die Hand  reichen will. Dies wird von den Medien und Politikern ignoriert. Die NATO-Aufrüstung durch Österreich (Neutralität?) seit Jahren und der Beginn der Sanktionen machten mir klar, dass ich ein Zeichen setzen will. Verschiedenste Recherchen brachten mich dazu, die russische Staatsbürgerschaft als zweite neben der österreichischen annehmen zu wollen.  Mit der Fahrt ein Zeichen für das Gemeinsame zu setzen war mir ein ganz besonderes Anliegen.

 

 

hildegardHildegard Berger

(Österreicherin, 1951, Bus)

 

Zum Warum:  Ich wollte nicht länger  im Garten  liegen und über Politik und Frieden sprechen, ich wollte etwas tun. Nach der Diskussion auf KenFM, die ich mir mehrfach angeschaut hatte, war das Interesse groß. Den Ausschlag gab das Telefonat mit meinem Bruder, den ich fragte, was er davon hält. Als er lachte, weil er sich – völlig unabhängig von mir – die gleichen Gedanken gemacht hatte, war beschlossen: „wir fahren“. Alle Medien positionieren Russland als Feind, ich wollte einen eigenen ersten Eindruck gewinnen. Meinen Eindruck eben.

 

 

Meine Erfahrungen: Die waren sehr vielfältig. Beachtenswert waren – für mich als ausgebildete Supervisorin – bereits im Bus die verschiedenen „Rollen der Selbsterfahrungsgruppe ohne abendliche Reflexion“ zu beobachten. Die Fahrt war ja teilweise sehr anstrengend. Ein bunter Haufen Menschen, die sich nicht kannten, rollten dahin. Teilweise gab es außer Kekserl nichts zu essen, ausgelöst  durch die Wartezeit an den Grenzen. Das war für viele eine ungewöhnliche Belastung mit entsprechenden Reaktionen. Wo liegen die Grenzen des Einzelnen, wann geht man sich gegenseitig auf die Nerven, was regt mich auf. Getragen wurde das Ganze durch das gemeinsame Thema Friedensfahrt, sonst hätte es zwischen den Mitfahrenden sicher mehr Konflikte gegeben. Die „Friedensfahrt“ hat die Gruppe in ihrer Verschiedenheit zusammengehalten. Gelernt habe ich enorm vieles – einiges was ich heute noch beleuchten will. Ich bin jetzt noch viel vorsichtiger mit Äußerungen über Russland, da ich erfahren konnte, wie wenig ich wirklich weiß. Unser Busfahrer Walter ist eine wahre Fundgrube an Wissen und Information – und kann auch noch spannend erzählen.. Er hat uns sehr viel erzählt, geschichtliche Hintergründe, über die Jelzin-Zeit, die Gorbatschov-Ära  – und das aus der Sicht eines Russen. Leider fehlte mir die Zeit, mich auf die Menschen einzulassen. Trotzdem kam es zu sehr berührenden Situationen, die mich motivieren auf jeden Fall nochmals mit mehr Zeit nach Russland zu reisen. In Smolensk konnte ich erfahren, wie sich eine alte Dame über unsere Fahrt freut. Auch das hat mich dazu bewogen, durch mein Handeln, einen „weiteren Tropfen in einen See zu werfen“ und am 1.10. von Wien nach Berlin zur  Friedensdemo zu fahren.

 

 

larissaLarissa

(Russlanddeutsche, 1960, PKW)

 

Zum Warum: Ein Grund  – neben der Tatsache, dass ich die Idee super und dringend notwendig fand – war der Wunsch, Menschen kennen zu lernen, die in die gleiche Richtung schauen. Allein erreicht man wenig, unter Gleichgesinnten ist vieles möglich. Seit Jahrzehnten schwebt mir eine Idee im Kopf herum, die ich in der Vorbereitung für die Fahrt als Projektvorschlag konkretisiert habe. Mein Projekt steht für Selbstbildung, Selbstorganisation, Selbstaktivierung, Selbstbeteiligung und Selbstverwaltung. Die Menschen müssen selbst agieren, nicht warten, bis Politiker oder andere die Dinge für sie in die Hand nehmen. Darum ging es ja auch bei der Friedensfahrt: etwas selbst tun.

 

Meine Erfahrungen: Es hat mir gefallen, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, aus unterschiedlichen Schichten und unterschiedlichen Alters dabei waren. Trotz der enormen Belastung ging man ziemlich friedlich miteinander um. Beeindruckt hat mich, dass die Deutschen in der Gruppe so offenherzig das Gedenken an die Opfer geleistet haben. Ich erinnerte mich an meine Jugend, als Kranz- und Blumenniederlegung selbstverständlich waren. Es war in der Sowjet-Union Tradition. Jede Stadt hat ihr Mahnmal, das man einmal im Jahr besuchte. So wurde das Gedenken irgendwie zur Routine. Bei der Fahrt habe ich empfunden, wie wichtig es sein kann, den Gefallenen und der Opfer der Kriege zu gedenken. Solange Menschen nicht ohne Kriege leben, muss immer wieder an die Konsequenzen erinnert werden. Daher war unsere damalige Routine sehr wichtig. Erst durch meine 26 Jahre, die ich jetzt in Deutschland lebe, wurde mir bewusst, was es heißt, keine Lehre aus der Geschichte zu ziehen. Das führt zu Arroganz gegenüber den Opfern der Kriege. Das darf nicht sein. Mit dem Projekt will ich dazu beitragen, Kriege zu verhindern. Es geht um die Antwort auf Fragen wie, warum Menschen nicht friedlich leben, warum soviel Energie in Kriege gesteckt wird. Es geht darum, die wirkliche Geschichte kennen zu lernen, die Fakten, die realen Ursachen der Kriege damals und heute. Die offizielle Geschichtsschreibung verbirgt vieles noch.  Nur wenn man die Fakten, die zu Kriegen führen, kennt, kann man diese vermeiden. Ein Fakt ist offensichtlich: Deutschland steht immer wieder im Zentrum derartiger Kriege. Weitere Infos dazu auf meiner Webseite http://laraless.jimdo.com/.

 

 

michaelaMichaela Sondermann

(Deutsche, 1960, PKW)

 

Zum Warum:  Ich wollte mir ein eigenes Bild über Land und Leute machen, die Menschen und die Kultur besser kennen lernen. Das Feindbild Putin und “der böse Russe“ sind mir aus den Medien bekannt. Überschriften wie “Wer stoppt Putin?“ tragen nicht zu einer friedfertigen Stimmung bei. Ich wollte endlich mit Taten und nicht nur mit Worten ein Zeichen für Frieden setzen. Die Drohgebärden der NATO, die Sanktionen gegen Russland – alles das gefällt mir nicht und macht mich wütend. Die Friedensfahrt bot mir die einmalige Gelegenheit, nicht einfach nur Urlaub dort zu machen, sondern selbst aktiv etwas für Völkerverständigung auf der menschlichen Ebene zu tun.

 

Meine Erfahrungen:  Dass ich als großer Fan von Willy Wimmer in Berlin die Möglichkeit hatte, ihn persönlich kennen zu lernen, mit ihm ein paar Worte zu wechseln konnte und mich für sein unermüdliches Engagement bedanken konnte, das war ein ganz toller Start vor der strapaziösen Friedensfahrt. In Luga am Partisanendenkmal – ich war von dem, was uns dort erwartete überwältigt. Die Menschlichkeit, die Begeisterung, wildfremde Russen, die mich mit einer Herzlichkeit umarmten – all das war Gänsehaut-Feeling. Die Begegnung mit Sveta in Moskau, das ist für mich ein weiterer Höhepunkt der Fahrt. Martin, auch ein Friedensfahrer und ich verteilten Flyer. Eine freundliche Russin antwortete unerwartet auf Deutsch und somit entwickelte sich ein Gespräch. Sie möchte nächstes Jahr unbedingt Neuschwanstein und den Königssee kennen lernen. Am selben Abend, als wir im Ausgangsbereich der Moskauer Metro, auf dem Lageplan den Ausgang zum Hotel suchten, tippte mir jemand auf die Schulter. Es war wieder Sveta, die fragte, ob sie uns helfen könne und zog zwei Tafeln russischer Schokolade aus ihrer Tasche, die sie uns schenkte. Martin ließ sich ihre Telefonnummer auf das Papier der Schokolade schreiben und mir gab sie ihre E-Mail-Adresse. Danach zeigte sie uns den Weg zum Hotel.

 

Um 23:00 Uhr rief mich Martin an. „Hast du die Nummer von Sveta noch?“ Der Hund hatte die Schokolade verspeist – Papier und Telefonnummer inklusive. Per Mail kamen wir aber wieder in Kontakt, so dass sie uns  am nächsten Abend zu den Nachtwölfen begleitete. Seit diesem Tag schreiben wir uns regelmäßig per WhatsApp oder E-Mail und wenn sie nach München kommt, werde ich ihre Fremdenführerin sein.

 

 

 alexandraAlexandra

(Deutsche, 1961, Motorrad)

 

Zum Warum:   Ich hatte Russland schon lang „auf dem Sender“, wollte mir ein eigenes Bild machen und Menschen kennen lernen. Der mediale Kriegszug war für mich nicht glaubhaft. Spätestens seit dem 9.5.2015 ist mir das ein Anliegen. Die Nachtwölfe hatten sich zum Tag des Sieges angekündigt, dann stellte sich Polen quer und die Jungs mussten einen Riesenumweg fahren. In den deutschen Medien gab es nur Negativschlagzeilen bzw. man konnte lesen, dass sie gar nicht da waren. Und ich stand 5 Meter von ihnen entfernt … Als die Fahrt angekündigt wurde, war klar „Ich bin dabei“.

 

Meine Erfahrungen: Wir Motorradfahrer waren nicht immer beim Konvoi, da wir alle 200 km tanken. Über weite Strecken haben wir unser eigenes Ding gemacht, was zu spontanen und intensiven Begegnungen führte. Typisch dafür der Treffpunkt in Moskau. Ich sah einen Motorradfahrer in Regenkombi und kam mit ihm – Anton – ins Gespräch. Er hatte im TV von uns erfahren. Die Antwort auf die Frage, ob wir weiter im Stau im Regen stehen wollten, war eindeutig und so fuhren wir durch heftigen Regen im Blindflug hinter ihm her. Er brachte uns in eine Gastwirtschaft, wo wir uns – bei intensiven Diskussionen auf Englisch – aufwärmten. Da nur einer von uns ein Zimmer gebucht hatte, folgten wir seiner Empfehlung und landeten in der Moskauer Biker-Meile bei Dimitri. Als Friedensfahrer erhielten wir die Zimmer zum halben Preis. Abends zogen einige mit Anton los, der sich als Chef einer IT-Firma extra drei Tage frei genommen hatte. So lernten wir zahlreiche Biker kennen, die schon weit herumgekommen waren. Erschreckend, dass sich viele von ihnen als Russen von der Weltgemeinschaft ausgeschlossen fühlen. Bei meinem Unfall am nächsten Tag, bei dem aber nichts Schlimmes passiert ist, war Anton eine enorme Hilfe. Nicht nur, dass er die Formalitäten mit der Polizei abwickelte, er sorgte noch am gleichen Abend für die Reparatur der Maschine. Der Platten am Tag darauf wurde in der Werkstatt von Pawel nicht nur sofort sondern kostenlos repariert. Der Versuch zu bezahlen wurde mit „Ach Alexandra –  nein, nein – Deutschland klein, Russland groß“ kommentiert. Dass wir mit den Jungs die letzte Nacht verbrachten, ist – nach diesen Erlebnissen – wohl ebenso verständlich wie der Plan, nächstes Jahr mit Anton eine Tour zu fahren.

 

 

 

irisIris

(Deutsche, 1961, Bus)

 

Zum Warum:  Ich bin eher unpolitisch, wurde aber mit der Gründung einer veganen Online-Community plötzlich politisch angeprangert. Das funktioniert heute sehr schnell. Unterwirft man sich nicht dem Meinungsdiktat gewisser Personen, wird man öffentlich diffamiert. So etwas sensibilisiert und man beginnt, (politisch) genauer hinzusehen. Fortan gehörten u.a. ausländische TV-Sender, alternative Online-Plattformen und KenFM zu den Medien, über die ich mich informierte, nachdem mir die Darstellungen im Mainstream zu einseitig erschienen. Russland wird offensichtlich immer mehr in die Verteidigungshaltung gedrängt, die NATO ist eindeutig auf dem Vormarsch. Als ich von der Idee der Friedensfahrt hörte, habe ich aus dem Herzen spontan entschieden und sofort zugesagt. Jeder Mensch sollte sich in dieser hochbrisanten Zeit politisch einbringen und handeln. Ich will mir von meinen Enkeln später nicht vorwerfen lassen, nichts getan zu haben.

 

Meine Erfahrungen: Die Fahrt verlief für mich anders als geplant. Gemeinsam mit einem Freund habe ich mich in St. Petersburg ausgeklinkt. Das hatte pragmatische Gründe. Für uns Veganer gab es unterwegs nichts Sinnvolles zu essen. Später erfuhren wir, dass St. Petersburg die Veganer-Hochburg Russlands ist und direkt gegenüber von unserem Hotel eine Art alternatives, veganes Einkaufszentrum lag. Nach einer hungrigen Woche schlugen wir uns endlich den Bauch voll. Und während wir Einheimischen vorher nur  im Schnelldurchlauf begegnet waren, entstand in St. Petersburg das Gefühl „Klasse, jetzt lernen wir endlich Russen kennen“. Das war für mich ja das Ziel der Fahrt. In unserer FB-Online-Community haben wir jetzt auch russische Mitglieder, mit denen wir uns z.T. privat austauschen. Wir haben Aufkleber und T-Shirts verteilt, waren im Sinne der Idee unterwegs – aber nur an einem Ort. St. Petersburg ist als eine der reichen Städte sehr schick. Man sieht dort aber auch traurige Szenen – Armut, die mich schockiert hat. Was mich jedoch begeisterte: Wir haben keinen dummen Kommentar gehört, sind ausnahmslos nur freundlichen Menschen begegnet. „Druschba“ hat die Herzen geöffnet. Die Begegnung mit den jungen Veganern war unser Highlight. Dass uns „der Diesel“ im Bauch gerade hier ausging, war ideal. Die vegane Botschaft des Russen Leo Tolstoi „Solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlachtfelder geben“ ist wirklich international – und das Vegane Zeitalter scheinbar auch.

 

 

samiraSamira

(Palästinensische Israelin, 1974, Bus)

 

Zum Warum: Für mich gab es viele Gründe. Ich sehe mich, egal wo ich lebe, als Akteurin, die die negativen Situationen zu positiven zu wandeln versucht. Jemand, der handelt, agiert und versteht – aber nicht leidet oder böses tut. Wie wichtig Frieden ist, ist mir als palästinensische Israelin sehr bewusst. Wenn es in Deutschland solche Aktionen gibt, möchte ich Teil davon sein, nachdem ich seit 8 Jahren hier lebe. Ich wollte politisch engagierte und kritische Menschen kennen lernen, Menschen, die, wie ich, nach Lösungen suchen, die Antworten auf Fragen fordern, die ihr Unbehagen artikulieren. Wir leben in einer globalisierten Welt, was eine bessere menschliche Interaktion fördern sollte. Interaktion, die effektiver als die Medien sein könnte. Ich bin überzeugt, wenn ich den Frieden und die Demokratie in Europa fördere, unterstütze ich auch dabei den Frieden und die Demokratie-Bewegung im Nahen Osten. Daher ist, von meiner Perspektive, die friedliche und vernünftige Politik zwischen Deutschland und Russland ganz wichtig.

 

Meine Erfahrungen: Am Meisten haben mich daher die Teilnehmer beeindruckt und die Art und Weise, wie diese die Erinnerungskultur an den Mahnmälern durchlebten. Die Kranzniederlegungen wurden ja durch uns als normale Bürger organisiert und vollzogen. Wir waren alles keine „Offiziellen“, sondern nahmen an einer von uns selbst initiierten, geschichtsträchtigen Veranstaltung teil. Das zu erleben war für mich eine große Sache. Denn zum Einen sind Kriege keine Lösung und zum Anderen wird meine eigene Erinnerungskultur immer vernachlässigt bzw. das zugrunde liegende Narrativ bezweifelt. In Israel gelten solche Veranstaltungen immer nur den Israelis, die Geschichte der Palästinenser wird ignoriert. Das Niederlegen von Blumen, die Musik, die Feierlichkeit am ewigen Feuer galt nie meiner Historie – daher waren derartige Veranstaltungen für mich negativ besetzt. Bei der Friedensfahrt habe ich es zum ersten Mal positiv miterlebt. Als Ausdruck von Trauer, als Symbol gegen Kriege, gegen Ungerechtigkeit. Mir wurde bewusst, wie wichtig eine derartige Erinnerungskultur als Teil einer Demokratie sein kann. Zumindest, wenn man ein friedensorientiertes kollektives Gedächtnis schaffen will, das auf Wahrheit und nicht auf Propaganda setzt. Das hat mir persönlich sehr viel zum Nachdenken mitgegeben.

 

 

florenceFlorence

(Französin, 1973, PKW)

 

Zum Warum: Wir sind zwei Jahre durch die Welt getingelt, da hatte ich Zeit zu lesen. Neben Gabriele Krone-Schmalz vermittelte mir auch Helene Carrère ein überraschendes Bild von Russland. Die plakativen Nachrichten positionieren Putin als das personifizierte Böse. Betrachtet man die NATO-Karte 1990 und heute, dehnt sich diese immer weiter aus. Wir schicken Panzer an die Grenze, wir dämonisieren die Russen. Was macht man mit uns?  Putin, der nächste Feind nach Ghaddafi, Hussein und Assad? Das macht mich wütend und zutiefst traurig. Hat man kleine Kinder, wie ich, muss man sich für eine friedliche Zukunft einsetzen. Als ich jung war, hatte man Angst vor Deutschland, heute vor Russland. Putin vertritt sicher auch geopolitische Interessen. Aber mir ging es darum zu sagen: „Stopp: Schluß mit Provokation und Diffamierung. Wir wollen Frieden.“ Mitzufahren hieß, wir sind keine Opfer!

 

Meine Erfahrungen: Es gab sehr emotionale Begegnungen, die tiefe Spuren bei mir hinterlassen haben. In St. Petersburg war unser Hostel eigentlich ein Altersheim. Zunächst waren wir etwas schockiert, wo sind wir gelandet?! Aber es wurde eine unglaublich schöne Zeit mit Spaghetti und  Diskussionen rund um Politik, Wirtschaft und Kultur. Wir kamen mit einigen Heimbewohnern in Kontakt, sprachen mit ihnen über ihre Zeit in Deutschland, über Goethe und deutsche Kultur. Es war alles sehr nostalgisch. Diese alten Herrschaften sagten uns aber auch deutlich, dass sie zwar nicht 100% zufrieden mit Putin seien, er aber sehr viel Gutes für sie und Russland tun würde. In Moskau trafen wir eine Gruppe aus Tcheschenien, Dagistan, Usbekistan und Aserbeidschan. Als wir ihnen erzählten, was wir tun, haben sie uns umarmt und gesagt „Wunderbar, ihr macht das Richtige. Die Russen sind unsere Freunde. Wir gehören zusammen.“ – und das aus dem Mund von Muslimen, was mich zugegebenermaßen überraschte. Ich hatte vor der Fahrt Vorurteile gegenüber Russland: „das kommunistische Land mit vermoderten Gebäuden, betrunkenen Menschen auf der Straße, feindseliger Stimmung, sturen Beamten an den Grenzen und überall Spione. Daher: Nur nicht offen über Politik reden. Es kam aber alles anders. Kritische Stimmen waren sehr wohl zu hören – ob im Cafe, im Altenheim oder in den Hostels, es wurde unzensiert diskutiert. Meine Vorurteile waren eben Vor-Urteile und wurden widerlegt.

 

 

pauliPauline 

(Deutsche, 1997, Wohnmobil)

 

Zum Warum: Mich haben meine Eltern drauf gebracht, dabei zu sein. Durch sie habe ich einen anderen Blickwinkel als andere Jugendliche. Ich mag Reisen. Geschichte fand ich immer interessant und der geschichtliche Hintergrund ist hier enorm spannend. In der Schule hatte ich immer Stress mit dem Geschichtslehrer. Der hat Sachen über Russland erzählt, die einfach nicht stimmten. Dass ich ständig widersprach und er meine Argumente nicht entkräften konnte, hat ihm nie gepasst. Dass mir im Geschichts-LK ein Punkt zum Fachabi fehlt, ist wohl Zufall. Egal. Russland begeistert mich total. Und das Ziel der Fahrt hat für mich super gepasst. Ein Zeichen zu setzen, dass es so nicht weitergehen kann, war mir sehr wichtig.

 

Meine Erfahrungen: Am meisten hat mich der Empfang an der Landesgrenze zum Leningrader Oblast beeindruckt. Die WoMos waren als erstes da. Überall standen dort Leute, Autos, Polizei. Wir dachten, das kann nicht für uns sein. Dann hat uns die Polizei „reingewunken“, es wurde getanzt, gesungen. Wahnsinnsstimmung! Besonders, als die russische Nationalhymne angestimmt wurde, wurde es emotional. Jeder vergoss Tränen. Ähnliches erlebten wir auch in Utorgosh. Die Stadthalle wurde für uns aufgemacht. Es kamen Einwohner und Menschen aus der Umgebung, bis mitten in die Nacht wurde gefeiert. Jeder war freundlich, obwohl sich keiner kannte. Wer kein eigenes WoMo-Bett hatte, schlief in der Schule. Dort gab es auch Abendessen und Frühstück für alle. Es war völlig selbstverständlich uns zu beköstigen. In Deutschland geben sich Menschen, die sich nicht kennen, kaum die Hand – das war für mich völlig neu. In St. Petersburg habe ich mich verliebt. Die Pracht, die Sauberkeit, die U-Bahn, in der alle 40 Sekunden ein Zug fährt – und so gepflegt. Dabei ist die Stadt wesentlich größer als Köln und Russland ärmer als Deutschland. Ja, die U-Bahnen sind teilweise alt, aber nichts ist zerkratzt, zerschnitten oder versprayt. Die Menschen haben wohl eine andere Beziehung zu ihrer Stadt. In Erinnerung bleibt mir auch der Empfang bei den Nachtwölfen. Einfach mal einen Abend nur Spaß haben, nichts Offizielles – nur feiern. Die Sänger, die mit deutscher, russischer und ukrainischer Flaggen auftrat, symbolisierte genau die Völkerverständigung wie ich sie mir wünsche.